Nach der Hölle links (German Edition)
Scanner gezogen wurden und er die Kreditkarte auf den Tresen legte. Auf den Preis achtete er nicht. Wenn die Verkäuferin ihm einen fünfstelligen Betrag in Rechnung gestellt hätte, wäre es ihm entgangen.
Eilig landeten die Lebensmittel in ihren Tüten. Ein Joghurtbecher ging zu Bruch. Andreas kümmerte sich nicht darum. Er schaffte es selten, alles heil aus dem Supermarkt zu bringen.
Die Freiheit lockte. Schwer beladen ließ Andreas die sterilen Gänge, bissigen Einkaufswagen und quälenden Werbedurchsagen hinter sich und war halbwegs zufrieden. Nur noch ein paar hundert Meter musste er überwinden. Er konnte das vierstöckige, liebevoll restaurierte Gebäude im Schatten der Speicherstadt bereits sehen. Die roten Ziegelsteine erzählten die Geschichten vergangener Zeiten, während die moderne Dachkonstruktion einen optischen Kontrapunkt setzte. An einer aus Bronze gegossenen Skala an der Front konnte man ablesen, wie hoch das Wasser der Elbe bei vergangenen Unwettern gestiegen war.
Innerlich ließ Andreas den Tag Revue passieren, während er die Tüten in Richtung Haustür schleppte. Am Morgen war es ihm schwergefallen, aus dem Bett zu kommen und das Haus zu verlassen. Um ein Haar hätte er sich krankgemeldet. Der Weg ins Tierheim hatte sich als Desaster erwiesen. Zwei Mal war er unterwegs aus der U-Bahn gesprungen, nur um am Ende doch anzukommen. Die Arbeit selbst ging erstaunlich gut von der Hand, der Rückweg ebenso. Der Einkauf … nun, er würde sehen, wie gedankenlos und hektisch er gewesen war, wenn er auspackte.
Andreas biss sich auf die Unterlippe. An guten Tagen konnte jeder gewinnen. Sich an schlechten Tagen zu besiegen, war die wahre Kunst.
Nachdem die mit Butzenscheiben versehene Haustür hinter ihm ins Schloss gefallen war, atmete er zum ersten Mal an diesem Tag tief durch. Die hölzernen Treppenstufen lagen vor ihm wie die Pforte zum Himmelreich. In Andreas’ Augen war die geräumige Wohnung in der obersten Etage wirklich ein kleines Paradies. Sein persönlicher Schutzbunker und der einzige Ort, an dem er er selbst sein konnte. Dass dieser Ort ausgerechnet im vierten Stock eines Gebäudes ohne Fahrstuhl liegen musste, war eine andere Sache.
Ein paar Minuten später fiel auch die Flügeltür zur Wohnung zu. Vertraute Gerüche und Konturen begrüßten ihn und verlockten dazu, die Einkäufe hier und jetzt zu Boden fallen zu lassen. Ein letztes Mal für dieses Wochenende riss Andreas sich zusammen und ging in die modern eingerichtete Küche, um auszupacken. Als der Kühlschrank voll war, fragte er sich leise lächelnd, was er sich dabei gedacht hatte, eine Backmischung für Quarkkuchen einzukaufen.
Achtlos zerknüllte er die Einkaufstüten und betrat das gewaltige Wohnzimmer, das einzig durch eine dünne Schiebetür vom Schlafbereich abgetrennt war. Die mit Büchern und DVDs bestückten Wände im hinteren Teil gaben dem Raum etwas Heimeliges und erinnerten ihn an sein altes Zimmer in der Villa seiner Eltern.
Ein wenig verloren irrte sein Blick über die Möbel und blieb an der Tür zur Dachterrasse hängen. Andreas roch nach Heu und musste eigentlich dringend duschen, aber er hatte keine Lust. Stattdessen zog es ihn nach draußen. Die Dachterrasse, die höher lag als die umliegenden Gebäude und somit nicht eingesehen werden konnte, war der Hauptgrund, warum Andreas sich in diese Wohnung verliebt hatte. Von seinem Liegestuhl oder der Hängematte aus konnte er über die Dächer Hamburgs bis zum Hafen sehen. Manchmal stand er stundenlang an der Brüstung und genoss es, im Freien zu sein. Ein kleiner Sieg, er machte ihn jedoch nicht glücklich.
Drei Jahre, nachdem er unter hässlichen Umständen das Elternhaus verlassen und sich in die Psychiatrie begeben hatte, fühlte er sich immer noch unzulänglich und klein. Ihm war bewusst, dass er an dieser Einstellung arbeiten musste, aber es war hart, auf sich selbst stolz zu sein, wenn niemand anderes seine Triumphe registrierte.
In die leere Wohnung zu kommen, tat jedes Mal weh. Niemandem erzählen zu können, wie sehr er gekämpft hatte, um am Ende zu siegen, ebenso. Das Alleinsein schmerzte über alle Maßen. Dass nie jemand da war, an den er sich anlehnen konnte. Dass nie jemand sagte: »Das hast du gut gemacht.«
Natürlich teilten seine behandelnden Ärzte und Therapeuten ihm mit, was sie von seinen Fortschritten hielten. Doch ihr Interesse war professioneller Natur. Für Andreas fühlte es sich an, als würde er ihr Lob kaufen. Er oder die
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