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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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und Autobatterien verstreut. Aby blickte sich um, konnte aber kein Land erkennen. Überall nur Wasser, das plötzlich Abys Fußgelenke umspülte. Schnell nahm Aby ihre Mutter auf die Arme. Das Wasser stieg ihr bis an die Hüfte, und Aby stemmte Margaret über ihren Kopf. Die Wolke über dem Hotel hing so niedrig, dass Aby meinte, sie berühren zu können. Das Wasser erreichte Abys Schultern, umspülte ihren Hals und zuletzt ihr Gesicht. Aby stemmte ihre Mutter höher. Ihre Arme und Beine schmerzten. Der Regen fiel. Abys Kopf war längst unter der Oberfläche, als sie das Wasser an Ellenbogen und Unterarmen spürte. Sie fühlte, wie der Körper ihrer Mutter sich anspannte und dann erschlaffte.
    Aby schaute durchs Wasser hinauf und sah einen blendend blauen Lichtblitz in den Himmel zucken. Sie wehrte sich nicht, als die Strömung Margaret aus ihren Händen riss und davontrug.

Dreiundfünfzig
    Ein Leuchtturm, unerwartet und rechtzeitig
    Anderson und Kenneth standen an Deck und sahen die Regentropfen auf die Wasseroberfläche klatschen. Der Wind heulte, und der Donner war fast ununterbrochen zu hören. Als Anderson endlich sprach, klang seine Stimme so leise und verhuscht, dass Kenneth sich zu ihm hinunterbeugen musste.
    »Das hätten wir nicht ahnen können«, sagte Anderson. »Woher hätten wir das wissen sollen?«
    Er sah seinen Vater an, der in den Sturm hinausschaute. Dann sahen die beiden sich an. Für einen Moment setzte der Donner aus und der Wind legte eine Pause ein, so dass nur noch Stewarts Schläge gegen die Luke zu hören waren.
    »Was meinst du, wie viele Leute auf dieses Boot passen?« fragte Kenneth.
    »Eine ganze Menge, würde ich meinen.«
    Es fand kein verbaler oder gestischer Austausch mehr statt, aber die beiden hatten eine einstimmige Entscheidung getroffen. Anderson entriegelte die Luke, Kenneth klappte sie auf, und Stewart kam herausgeschossen. Er hielt die Hände zu Fäusten geballt, aber sobald er an Deck stand, wurde er von der Tatsache abgelenkt, dass ringsum nichts als Wasser zu sehen war. Er ließ die Arme sinken und drehte sich einmal im Kreis. In alle Richtungen und bis zum Horizont sah er nichts als Wasser.
    »Wir brauchen Ihr Boot, um zu helfen.«

    »Wem?«, fragte Stewart und deutete auf die Ödnis aus Wasser.
    »Na ja, Winnipeg ist eine Stadt und ganz in der Nähe, oder?«
    Stewart hielt inne. Er starrte zu der kleinen, kanadischen Flagge hinauf, die oben am Mast hing. Als er sie im anschwellenden Wind flattern sah, hatte Stewart zum ersten Mal seit Jahren - und ganz sicher zum ersten Mal, seit er im Prairie Embassy Hotel angestellt war - das Gefühl, gebraucht zu werden. Endlich gab es etwas, das er tun musste und nicht bloß tun konnte. Er bewegte sich flink und entschlossen, was ihm eine neue, absolut natürliche Autorität verlieh.
    »He du, Dünner«, sagte Stewart.
    »Anderson.«
    »Anderson, du gehst ans Ruder und hältst uns im Wind. Und du …«
    »Kenneth.«
    »Mach das Fall los«, sagte Stewart und zeigte darauf.
    Die Männer arbeiteten einander zu. Das Fall wurde am Kopfbrett festgemacht. Das Großsegel flatterte im Wind. Stewart hisste das Segel Handbreit um Handbreit, hielt aber plötzlich inne. Er schaute sich um. Er schaute über den Bug, übers Heck und über die Steuerbordseite, konnte aber keinen Orientierungspunkt erkennen. Sie hatten keine Karte. Keinen Kompass. Keine Möglichkeit zu entscheiden, in welche Richtung sie segeln sollten.
    »Welche Richtung?«, fragte Stewart. Kaum hatte er das gesagt, zuckte in der Ferne ein grellblauer Blitz.
    Weder Stewart noch Anderson oder Kenneth wussten, dass das blaue Licht etwas mit Margaret zu tun hatte und vom Dach des Prairie Embassy Hotels kam, das mittlerweile komplett überflutet war. Sie wussten auch nicht, dass sie, nahmen sie Kurs darauf, in einer geraden Linie nach Winnipeg geführt
werden würden. Aber alle drei Männer ahnten, das blaue Licht war ihnen in einem zu passenden Moment erschienen, um Zufall zu sein.
    »Dorthin, nehme ich an?«, fragte Anderson.
    »Definitiv«, antwortete Stewart. »Und du, Kenneth, gehst nach unten in die Kabine zum Wasserschöpfen. Und nicht aufhören!«

Vierundfünfzig
    Die letzte originalgroße Telefonzelle der Welt
    Lewis verließ das Kino und machte sich auf die Suche nach einem Telefon. Alle Läden hatten geschlossen. Anstatt anzuhalten, bespritzten die vorbeifahrenden Autos ihn mit Wasser. Lewis wusste nicht, wo sein Handy war - zum letzten Mal hatte er es vor der Beerdigung

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