Nach Hause schwimmen
er habe Orla nicht persönlich gekannt, aber sie sei bestimmt eine außergewöhnliche Frau gewesen, auch wenn sie es bei ihrem Feldzug gegen die öffentliche Schule vielleicht ein wenigübertrieben habe. Er klopfte Wilbur auf die Schulter, erst zaghaft, dann fester, und schließlich erhob er sich, meinte, es gebe noch viel zu tun und verließ das Zimmer.
Wilbur wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Er saß da und stellte sich vor, wie er mit Colm auf dem Hof leben würde, wie er, statt zur Schule zu gehen, den alten Mann pflegen, für ihn kochen und ihm aus Büchern vorlesen würde. Er malte sich aus, wie er seinen Freund im Wohnzimmer einquartierte, von wo aus man auf eine der Weiden sehen konnte, wie er lernte, Traktor zu fahren und Kühe zu melken und Zäune zu flicken. Die Augen geschlossen, sah er sich mit Colm in der Sonne sitzen und Schafe zählen, sah die Jahre vergehen und hatte eine Ahnung davon, wie es sein könnte, wenn er in weiter Zukunft neben Colm liegen und ihn so fest umarmen und festhalten würde, dass der ihn mit in den Himmel nähme wie ein Schiff einen blinden Passagier.
In einem Nebenzimmer ließ einer der Männer etwas fallen, das zerbrach. Wilbur schreckte aus seinem Traum hoch, holte ein paar Mal tief Luft, faltete den Artikel zusammen und legte ihn zu den anderen Dingen, die er für Colm vor dem Feuer bewahrte.
Sie brachten Colm einen Sessel, eine kleine Kommode, zwei gerahmte Bilder und die Kisten mit den Büchern und den Tonfiguren. Die Leiterin des Altersheims, eine dünne Frau um die vierzig, die freundlich, aber ständig leicht überfordert wirkte, hielt es für keine gute Idee, die Tiere auf sämtlichen verfügbaren Flächen aufzustellen, aber nachdem Colm versprochen hatte, sie eigenhändig abzustauben, gab sie nach. Während die Männer mit dem Lieferwagen nach Hause fuhren, halfen Henry und Wilbur beim Auspacken von Colms Sachen.
Danach gingen sie zu dritt in den Garten und fütterten die Goldfische, die in einem künstlichen Teich ihre Kreise zogen. Der Verputz des Hauses und der Himmel hatten dieselbe Farbe, ein Blau, das sich nicht entscheiden konnte, zu leuchten oder zu erlöschen. Wilbur und Henry rochen nach dem Rauch des Feuers, das längst Asche war. Von sehr weit her bellte ein Hund. Colm ging in die Hocke, und sein Spiegelbild verschwamm im dunklen Wasser.
Beim Abendessen erzählte Henry seiner Frau, wie erstaunt, ja erschrocken Colm gewesen sei, als sie den Fernseher aus der Kiste gehoben hatten. Erst habe er sich gegen Wilburs Geschenk gewehrt, aber dann hätten sie das Gerät angeschlossen und eingeschaltet, und als, wie zum Beweis für die Gutartigkeit des Kastens, eine Natursendung auf dem Bildschirm erschienen sei, habe Colm sich brav in seinen Sessel gesetzt und staunend verfolgt, wie die Tiere aus seinen Büchern plötzlich laufen lernten.
Pauline, von der Geschichte mehr überrascht als gerührt, meinte, so eine gottgefällige Tat habe sie Wilbur nicht zugetraut. Dann gab es Torte zum Nachtisch, und Pauline bot Wilbur aus einer großzügigen Laune heraus an, später mit ihnen Fair City anzusehen. Henry schien seinen Ohren nicht zu trauen und sah Pauline an, als habe sie dem Jungen gerade einen Flug zum Mars in Aussicht gestellt und nicht eine halbe Stunde irischer Soap. Zur Überraschung beider verzichtete Wilbur auf das zweifelhafte Vergnügen und ging nach oben, um in der Stille seines Zimmers ein kurzes Stück für Cello zu schreiben.
Etwas stach Wilbur ins Bein, und er zog einen Strohhalm aus der Hosentasche. Der Rest lag in einer kleinen Schachtel in einer Schublade von Colms Kommode. Während Wilbur die Noten einer Melodie hinschrieb, die zwischen Traurigkeit und Hoffnung schwankte, stellte er sich Colm vor, wie er die Schachtel hervorholte und seine Nase hineinsteckte und sich an ein Leben erinnerte, das zu Ende war, während der Fernseher keine Tiere mehr zeigte, sondern die Raserei der Welt.
Eamon McDermott war im Schlaf gestorben, aus dem er schon seit Wochen nicht mehr wirklich aufgewacht war. Er wurde in einem Leichenwagen mit bestickten Vorhängen von Milford hergebracht und neben seiner Frau begraben. Miss Ferguson, die aus der Güte ihres Herzens glaubte, Wilbur auch diesmal beistehen zu müssen, hatte Colm Finnerty mit dem Taxi im Heim abgeholt und war mit ihm zum Friedhof gefahren. Es war ein kühler, aber schöner Tag, die geschlossenen Schirme hingen den Leuten an den Armen wie Kokons schwarzer Schmetterlinge, und
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