Nach Hause schwimmen
umständlich einparkte, steckte Wilbur sich den Finger in den Hals, aber er hatte nichts gefrühstückt, und so blieb auch der letzte Versuch, sich vor dem Wiedersehen zu drücken, erfolglos. Pauline strich ihm die Haare glattund nahm ihn unter den Schirm, während Henry, den Mantel über den Kopf gezogen, zum Eingang rannte.
Eine Angestellte führte sie zu Eamons Zimmer. Auf Paulines Frage, ob Mr. McDermott nach seinem Enkelsohn verlangt habe, antwortete die Frau, er spreche schon seit Monaten kein Wort mehr. Wilbur wollte das zum Anlass nehmen umzukehren, aber Henry bestand darauf, den weiten Weg nicht umsonst gefahren zu sein. Die Frau klopfte an Eamons Tür und trat ein. Henry schob Wilbur vor sich her, Pauline hielt sich im Rücken ihres Mannes.
Im Zimmer roch es nach dem Mittagessen, das hier um elf serviert wurde, und Wilbur bildete sich ein, einen Hauch von Urin wahrzunehmen. Als die Frau Eamon mit lauter Stimme den Besuch verkündete, zuckte Pauline zusammen, aber der alte Mann bewegte keinen Muskel. Er saß vor dem einzigen Fenster des Raumes, schien jedoch nicht hinauszusehen. Eamon McDermott war mager geworden, kleiner, weniger. Wilbur erkannte seinen Großvater kaum noch. Der Mann, der einmal sein Feind gewesen war, hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem Riesen, dessen Schatten damals einen ganzen Raum verdunkelte.
Eamons Körper steckte in einem bordeauxroten Hausmantel. Aus den Hosenbeinen ragten nackte Füße, aus den Hemdärmeln fleckige Hände, die Finger starr gekrümmt. Vergilbtes Haar wuchs aus seinem Schädel, die Ohren waren welk, die Augen trüb und halb verdeckt unter hängenden, faltigen Lidern. Sein Atem war ein leises Ächzen, hörbar nur in der kurzen Stille, die entstanden war, nachdem die Frau das Zimmer verlassen hatte.
Henry redete verlegen und hastig auf Eamon ein, stellte sich und Pauline vor, nahm sogar die Hand des Alten und schüttelte sie vorsichtig, als könnten die Finger zerbrechen, die knotig unter der Haut verlaufenden Sehnen reißen. Pauline legte ihm eine Dose auf den Schoß und ließ nicht unerwähnt, dass sie die Kekse selber gebacken hatte. Eine Weile warteten beide auf eine Reaktion, aber Eamon starrte nur vor sich hin. Schließlich schlug Henry vor, Wilbur eine Weile mit seinem Großvater alleine zu lassen. Bevor Wilbur widersprechen konnte, eilten Henry und Pauline aus dem Zimmer.
Wilbur stand da und sah den alten Mann an. Er fühlte sich mit ihm nicht verwandt. Aber noch weniger fühlte er sich den Conways zugehörig, und so blieb er im Zimmer und wartete, dass die Zeit verging, die Pauline ihm einberaumt hatte. Er ging zur Kommode, die neben dem Bett stand, und nahm, als Eamon ihm keine Beachtung schenkte, die darauf liegende Armbanduhr in die Hand. Es war eine schwere mechanische Citizen mit Leuchtziffern, Datumsanzeige und Mondphasenkalender. Das Glas war stumpf, aber ohne Kratzer, und das braune Lederband rissig und an der Innenseite schwarz und glänzend. Wilbur dachte an die Uhr, die Orla ihm in Dublin gekauft hatte und die ihm während des Schwimmunterrichts in Taggarts Tempel gestohlen worden war, vielleicht von Fintan Taggart selber. Wochenlang hatte er es geschafft, sein Handgelenk mit der fehlenden Uhr vor ihr zu verbergen, aber dann hatte Orla es eines Tages doch bemerkt. Weil er weder mit Taggart noch seinen Mitschülern Schwierigkeiten wollte, erzählte er ihr, er habe die Uhr verloren. Orla glaubte ihm und kaufte ihm Tage später in Letterkenny eine neue. Er trug sie seit dem Begräbnis nicht mehr, nach Orlas Tod war ihm das Festhalten von Zeit gleichgültig geworden.
Daran dachte er, während er Eamons Uhr in der Hand hielt. Daran und an Deirdre, die bei der Beerdigung ihrer Schwester so heftig geweint hatte, dass Mr. Brennan sie zu einer Bank geleiten musste, wo sie sich hinsetzte. Colm hatte einen schwarzen Anzug getragen, in dem er verloren aussah und fremd. Miss Ferguson war unter den Trauergästen gewesen, auch der alte McSweeney und Trevor O’Reilly erwiesen ihrer ehemaligen Kundin die letzte Ehre. Ein starker Wind hatte an den Mänteln gezerrt und die Soutane des Pfarrers aufgebläht. Der Regen war erst in der Nacht gekommen, als Wilbur im Bett lag und für sich die Frage des Pfarrers beantwortete, warum der Herr ausgerechnet Orla zu sich genommen habe. Weil Gott ein böser alter Mann ist, hatte Wilbur geflüstert, deshalb war Orla tot und nicht dieser verrückte Alte.
Wilbur spielte mit dem Gedanken, die Uhr einzustecken,
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