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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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empfinde es nicht als lustvoll. Ich bin kulinarisch frigid.
     
    Nach dem Frühstück geht Aimee. Sie will sich in der Bibliothek Zeitungsartikel ansehen, die über das Susan und Kate Caldwell Institut für Humanforschung berichten, die Stadt der Selbstmörder. Es ist kalt, aber es regnet noch immer nicht, und sie geht, eingehüllt in ihren Mantel und den Schal bis unter die Nase gewickelt, zu Fuß zur U-Bahn-Station. Die Nebenstraße, in der das Hotel liegt, ist fast menschenleer. Ein paar Autos fahren vorbei, langsam, als wüssten die Fahrer nicht, wohin sie wollen. Zwei schwarze Jugendliche stehen unter der hochgeklappten Kühlerhaube eines Wagens von der Sorte, wie ich sie aus vierzig Jahre alten Filmen kenne. Ein dritter sitzt hinter dem Steuer und raucht. Am Ende der Straße dreht Aimee sich um und winkt, und ich winke zurück.
    Dann biegt sie um die Ecke. Winston sitzt mit einer erloschenen Zigarre im Mund vor dem Laden und sieht ihr nach. Als sie verschwunden ist, faltet er die Wolldecke, die über seinen Beinen gelegen hat, zusammen und erhebt sich, als sei eine Vorstellung zu Ende.
    »Gleich regnet es«, verkündet er, bleibt einen Atemzug lang unschlüssig stehen und geht dann in seinen Laden.
    Obwohl ich kaum Geld habe und mit der Arbeit beginnen sollte, folge ich ihm. Die Glocke, die über meinem Kopf an einem spiralförmigen Blechband hängt, klingelt, als die Tür hinter mir ins Schloss fällt. Der Laden ist ein langer Schlauch, der sich in der Mitte, wo Winston hinter dem Kassentisch sitzt, zu einem engen Korridor verjüngt, durch den man in den hinteren Teil gelangt, den Raum mit dem Plunder. Vorne, beschienen vom diffusen Licht zahlloser Deckenlampen, hat Winston seine Schätze auf Tischen und Regalen ausgebreitet. Vasen, bemalte Porzellankannen, Fotoapparate, bronzene Türklopfer, Kristallgläser, Spieldosen, Segelboote in Flaschen, dunkel angelaufenes Silberbesteck, mechanische Kaffeemühlen, Aschenbecher aus dem Ritz , handgeschliffene Karaffen, Operngläser, Flachmänner mit eingravierten Initialen, Parfümflakons mit paillettenbesetzten Zerstäubern, lange Reihen ledergebundener Bücher, Inseln aus Arztkoffern und Handtaschen, Schreibtischlampenwälder, Schallplattentürme.
    In Vitrinen, deren winzige Schlüssel Winston an einer Kette um den Hals trägt, liegen Zigarettenetuis aus Silber, Armbanduhren, Perlenketten, Ohrringe, goldene Feuerzeuge. An den Wänden hängen gerahmte Ölbilder, Drucke und Stiche, daneben Jagdtrophäen, Spiegel, Hüte an Haken. Gerollte Perserteppiche stehen herum, Golftaschen, Angelruten, stumme Wanduhren, zwei Barhocker, ein Sofa, in den Ecken Sessel und Stühle und ein Totempfahl.
    Der Gang zwischen den Tischen hindurch ist ein Gang zurück in der Zeit, ein Besuch im Museum der beendeten Träume und des verarmten Adels, der aufgelösten Haushalte und verhökerten Spielgewinne, Erbschaften und Diebesgüter und der gescheiterten Ehen und nicht eingehaltenen Versprechen, alles mit dem verstaubten Charme des Unnützen bedeckt, wertvoll und lächerlich und im Preis verhandelbar.
    »Ich hab da was«, sagt Winston. »Genau das Richtige für dich.«
    »Ich brauche nichts«, sage ich und betrete den zweiten Raum, wo dem Kunden der Müll des Alltags entgegenbrandet, das Strandgut der unteren Mittelschicht. Auf Metallregalen stehen Radios und Mikrowellengeräte und Saftpressen, höher oben Computer, Monitore und Drucker, Kameras, am Boden Fernseher, Bürostühle, Kühlschränke, Fitnessgeräte, Schlittschuhe, eine künstliche Palme. In einer Pappkiste liegen Videokassetten, in einer anderen elektrische Lockenwickler. Möbel stehen wahllos herum, Tische stapeln sich bis unter die Decke, Sessel bilden krumme Säulen, dazwischen stehen Schränke, in denen Pelzmäntel hängen, Fuchs, Kaninchen, Biber. Auf einem Regal liegen Hüte, ein Reithelm und der Zylinder eines Totengräbers. In eine Stuhllehne ist KATIE eingeritzt, in einen Baseballhandschuh hat ein Junge mit Kugelschreiber BOBBY SPARROW geschrieben. In der Schublade einer Kommode liegt eine Brille, auf dem Kissen im Kinderwagen ein Schnuller, in einem Buch eine Postkarte, auf der jemand das Wort Heimweh unterstrichen hat. Ich nehme einen Football in die Hand, an dem die Zahnabdrücke eines Hundes zu erkennen sind. In der Brusttasche einer Lederjacke steckt ein Einkaufszettel: ZAHNPASTE , ROTWEIN , KERZEN , KATZENFUTTER . Ein einzelner roter Kinderfäustling liegt am Boden. An der Innenseite einer Schranktür steht in

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