Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Liebe aufbrachte, bald hinter sich lassen würde.
     
    Am Horizont stieg Morgenlicht auf. Der Mond war verschwunden. Die Wolken, die jetzt über dem Meer standen, hatten graue, zerfranste Säume. Wind kam auf, strich über das zähe Gras und bewegte die kahlen Äste der wenigen Bäume. Auch in den Matrosen schien jetzt Leben zufahren. Wie tastend bewegte er die Hände, und in seiner Brust rumorte etwas, das gelegentlich als Röcheln aus seiner Kehle drang. Eamon hatte acht Beutel voll Goldstücke, fünf glitzernde Steine, von denen er nicht wusste, dass es Diamanten waren, einige Gold- und Silbermünzen und zwei Umschläge mit bedrucktem Papier, das er für Geldscheine hielt, aus der Kiste geholt. Alles lag auf dem Stück Tuch, in das die Münzen eingewickelt gewesen waren. Die langen krummen Hörner, die Eamon nicht als Stoßzähne von Elefanten erkannte, den schweren Revolver und die Schachteln mit Patronen, das Fernrohr aus Messing und dunklem Holz und das verzierte Messer mit den zwei Klingen, tausendmal schöner und edler als das eigene, legte er in die Truhe zurück, nachdem er die Dinge eine Weile bestaunt hatte.
    Er verknotete das Tuch und trug den Beutel in das Versteck, in dem seine anderen, jetzt wertlos gewordenen Schätze lagen. Dann schleppte er die Kiste vom Strand weg über eine flach ansteigende Hügelkuppe und schob sie in das Loch eines längst verlassenen, hinter Gras und Stechginsterbüschen verborgenen Dachsbaus, in dem er sich als kleiner Junge vor seinem Vater und den Schafen versteckt hatte.
    Als Eamon endlich ins Haus ging, war es beinahe hell. In der Küche machte er Feuer, setzte Wasser auf und nahm die Tassen aus dem Regal an der rohen Steinwand. Er wusste, wo der Pocheen war, der selbstgebrannte Whiskey, tat Zucker in eine Tasse und füllte sie halb mit dem Schnaps und halb mit heißem schwarzem Tee. Damit und mit einem Kanten Brot ging er zur Bucht, setzte sich ins Gras und wartete, bis entweder der Matrose oder sein Vater wach wurde. Das leise Blöken der Schafe, die die Nacht im Schutz der Felsen und Büsche am Fuß des Hügelzuges verbracht hatten, wehte zu ihm herüber. Er hielt die dampfende Tasse mit beiden Händen umfasst, und wäre er nicht so müde und voller Angst gewesen, hätte er gelächelt.
     
    Eamon blies vor jedem Schluck in die Tasse. Er schlürfte den Tee auch dann in sich hinein, wenn dieser fast kalt war, und kniff dabei die Augen zusammen, als befürchtete er, sich Lippen und Zunge zu verbrühen. Orla sah ihm dabei schon seit Jahrzehnten nicht mehr zu. Dass sie ihn hörte, genügte ihr.
    »Du verwöhnst ihn.« Die Stimme kühlte Wilburs warmen Bauch aus.
    »Ja«, sagte Orla. Sie schob Wilbur einen weiteren Löffel Bananenbrei in den Mund, den es zum Nachtisch gab. Bananen waren in ihrer Kindheit nicht einmal in Dublin zu haben gewesen. Noch immer musste sie mit dem Bus bis Letterkenny fahren, um welche zu kaufen, aber jetzt lagen sie in den Supermärkten wie selbstverständlich neben Kiwis und Mangos und anderen Früchten, die aus Ländern kamen, deren Namen sie vor den Regalen leise hersagte. Tansania. Ecuador. Costa Rica. Sie hätte die Namen Wilbur gerne ins Ohr geflüstert, in diese kleine rosa Muschel, durch die das Sonnenlicht drang und blaue Äderchen aufleuchten ließ.
    »Das ist nicht gut.« Eamons Schlürfen klang wie das Wasser, das nach dem Baden kreiselnd im Abfluss verschwand.
    »Ist es wohl«, sagte Orla ruhig, und nur Wilbur spürte die in ihren Worten verborgene Kälte.
    »Er wird weich«, sagte Eamon. Er stand noch immer hinter seiner Frau ans Spülbecken gelehnt da und hielt die leere Tasse mit beiden Händen fest. Wilburs Haare, jedes einzelne in Licht gefasst, waren das einzige, was er von dem Kind sah. Manchmal dachte er daran, diese Haare zu berühren, tat es aber nie. Er glaubte sich zu erinnern, wie sehr er es gemocht hatte, wenn seine Mutter mit der Hand über seinen Kopf gestrichen war, doch beim Anblick der eigenen Hände wurde ihm klar, dass sie nichts mit denen der Mutter gemein hatten. Wärme war in ihnen nur noch, wenn sie eine Tasse umklammerten.
    »Er wird ein Mensch.« Orla sprach diese vier Worte weich aus und sanft und trotzdem bestimmt. Dann erhob sie sich und ging aus der Küche und durch das Wohnzimmer auf den Weg vor dem Haus. Dort setzte sie sich Wilbur auf die Schultern und ging über die Wiese und hinunter zum Strand, wo sie sich in einem Kreis langsam um die eigene Achse drehte, ein Leuchtturm am hellichten Tag.
     
    Das

Weitere Kostenlose Bücher