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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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den von ihr gemieteten Wagen und fuhren los. Alice war eine ängstliche, unkonzentrierte Lenkerin und Linksverkehr nicht gewohnt. Bei jedem Auto, das ihnen hinter einer Kurve entgegenkam, zuckte sie zusammen, lachte dann nervös auf und machte einen Scherz über ihre Fahrkünste.
    Wilbur saß auf dem Beifahrersitz und hörte der Frau zu, die ihm von einem Kinderheim erzählte, von Ausflügen auf dem Rad, Seeüberquerungen im Ruderboot, Libellen und Fischen, Stutenmilch und Tanzlektionen. Er erinnerte sich an nichts, und trotzdem kamen ihm die geschilderten Orte und Ereignisse seltsam vertraut vor. Und er war froh, dass die Frau neben ihm unaufhörlich redete und keinen Moment der Stille zuließ, während der er sich hätte fragen müssen, was eigentlich mit ihm passierte.
     
    Gegen Abend kamen sie in Portsalon an. Wilbur sagte Alice, wie sie durch den Ort fahren musste, und zog den Kopf zwischen die Schultern. Nachdem sie vor dem Haus angehalten hatten, blieb er eine Weile sitzen und versuchte, richtig zu atmen. Alice tat dasselbe, darauf wartend, dass Wilbur ihr von Henry und Pauline Conway erzählte. Aber dazu hätte Wilbur bei Orla anfangen und die Zeit mit Colm erwähnen müssen, und das wollte er nicht. In seinem Kopf stürzten die Erinnerungen durcheinander, außerdem war die Frau neben ihm eine Fremde, auch wenn sie das Gegenteil behauptete.
    Schließlich stieg Wilbur aus und ging über die Einfahrt zur Garage, aus der er eine Schaufel holte. Im Garten grub er an der Stelle zwischen der Esche und der Steinmauer in der feuchten Erde, bis das Schaufelblatt auf etwas Hartes stieß. Er legte die Schaufel weg und kniete sich hin.
    »Guten Tag, Wilbur.«
    Wilbur hob den Kopf. Er war nicht erstaunt, Pauline Conway zu begegnen. Er hatte damit gerechnet, dass sie hinter dem Vorhang stehen und ihn beobachten würde, und es war ihm egal. Er blickte ihr ins Gesicht und sagte nichts.
    »Ich ...« Pauline verstummte und starrte auf den Boden, als würde dort etwas ihre Aufmerksamkeit erfordern. Dann sah sie erneut Wilbur an. »Man hat mich angerufen und über die Situation informiert.« Sie strich sich mit beiden Händen die Schürze glatt, obwohl sie tadellos gebügelt war. »Ich wünsche dir viel Glück in Amerika.«
    Wilbur betrachtete das ausgehobene Loch. Er hatte einen Wurm zerteilt, dessen Teile sich wanden. In einem der Nachbarsgärten bellte ein Hund. Wilbur wischte mit den Händen Erde beiseite und legte ein Stück Rot frei. Dann ergriff er die Blechdose, zog sie hervor und stand auf. Er wollte weggehen, aber dann besann er sich, nahm die Schaufel und schüttete das Loch wieder zu.
    Pauline kam über den nassen Rasen. Sie trug Hausschuhe aus Stoff, aber das schien sie ebenso wenig zu beachten wie die abendliche Kühle. Wilbur legte den Placken aus Erde und Grasnarbe auf das Rechteck, wo das Loch gewesen war, und trat ihn vorsichtig fest.
    »Zeigst du mir, was du da drin hast?« Pauline stand vor ihm. Sie wirkte kleiner als früher, weniger einschüchternd, beinahe zart. Sie versuchte ein Lächeln, und man sah, dass sie es lange nicht getan hatte.
    Wilbur zögerte, dann nahm er den Deckel von der Büchse. Ohne sie anzufassen, sah Pauline sich die Schätze an, Strohhalme aus Colms Scheune, die Eintrittskarte eines Dubliner Kinos, Matthews Wörterbuch, die Uhr, die Orla Wilbur geschenkt hatte, nachdem ihm die erste gestohlen worden war. Unten in der Büchse lagen die Briefe von seinem Vater und von Sune, vier gefaltete Seiten aus Eamons Heften, das Foto, das Orla in Sligo zeigte, und der Zeitungsartikel über ihren Kampf mit den Behörden.
    Pauline griff in die Tasche ihrer Schürze, holte drei Briefe hervor und legte sie in die Blechdose. Auf einem Umschlag erkannte Wilbur Sunes eckige Buchstaben, auf den anderen beiden Matthews verschnörkelte Schrift und Marken mit dem Kopf der Queen.
    »Die bin ich dir noch schuldig«, sagte Pauline. »Es tut mir leid.« Sie wartete, aber als Wilbur weiter schwieg, berührte sie ihn flüchtig am Arm, wandte sich ab und ging zur Verandatür.
    »Wie geht es Mr. Conway?«
    Pauline blieb stehen und drehte sich um. Ihr Lächeln war so flackernd und traurig, dass sie verlegen den Kopf senkte. »Es geht ihm gut«, sagte sie. »Die Leute dort kümmern sich um ihn.« Ihr war kalt, und sie legte die Arme um sich. »Er war krank, aber jetzt geht es ihm gut.«
    »Bitte grüßen Sie ihn von mir«, sagte Wilbur. »Würden Sie das tun?«
    Pauline nickte, und für einen Augenblick gelang ihr

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