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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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war, den Townsend zu sich bestellte, und er fragte sich, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war.
    »Es gibt offenbar Menschen«, sagte Townsend, klappte das Gerät zu und kritzelte etwas auf einen Notizblock, »die bereit sind, einen Teil ihres Lebens darauf zu verwenden, Burschen wie dir zu helfen. Ihnen den Weg zu weisen, Werte aufzuzeigen.« Er riss den obersten Zettel ab, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Brusttasche seines Jacketts. Dann schenkte er sich Wasser aus einer Karaffe in ein Glas und trank einen Schluck, wobei er den Sessel so drehte, dass er Wilbur sein Profil zuwandte. »Ich persönlich ziehe es vor, dir und deinesgleichen den Charakter zu schleifen. Dir hier drin beizubringen, was richtig ist und was falsch. Was gut ist und was schlecht. Wo die Grenzen deiner individuellen Freiheit verlaufen und mit wem du dich verflucht noch mal besser nicht anlegen solltest.« Er trank das Glas leer, drehte sich um und sah Wilbur an. Das tat er eine Weile, ohne etwas zu sagen. Dabei schien er keine Sekunde zu erwägen, Wilbur zum Hinsetzen aufzufordern.
    »Diese Menschen meinen es gut mit dir«, sagte er schließlich. »Sie setzen Hoffnungen in dich. Dass du diese Hoffnungen enttäuschst, ist nicht der Fehler dieser Menschen. Das ist einzig und allein dein Verschulden.« Er stieß sich mit den Händen von der Tischkante ab und rollte auf dem Stuhl ein Stück weit zurück. Wieder betrachtete er Wilbur eine Zeitlang. »Ehrlich gesagt, würde ich dich gerne noch ein halbes Jahr hierbehalten. Dir zeigen, wie man sich zu verhalten hat. Dich Respekt lehren vor Menschen, die sich deiner annehmen. Dankbarkeit. Demut. Disziplin. Das würde ich dir gerne beibringen in den nächsten sechs Monaten.« Er zog sich an den Tisch zurück, drückte eine Taste des Laptops und sah auf den Bildschirm.
    Wilbur blickte zu Boden. Ein weiteres halbes Jahr in Four Towers wäre ihm recht gewesen. Die neuen Bedingungen waren zwar unangenehm, aber auszuhalten. Vielleicht würden die strengen Regeln wieder gelockert, wenn sich die Aufregung nach dem Massenausbruch undMoriartys Entlassung gelegt hätte. Ein halbes Jahr war kein Problem, nicht mit Conor an seiner Seite.
    Die Tastatur klickte leise unter Townsends Fingern. »Fast ein wenig schade, dass du uns verlassen musst«, sagte Townsend, ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen.
    Wilbur sah hoch. »Was?« Das Wort blieb auf halbem Weg in seiner Kehle stecken, er räusperte sich.
    »Wie bitte, Sir, heißt das!« Townsends Stimme war laut und schneidend, aber er sah Wilbur nicht an, tippte weiter und schrieb dann etwas auf den Notizblock. Nach einer Weile sah er Wilbur an, erwartete offensichtlich etwas von ihm.
    »Wie bitte, Sir?« sagte Wilbur. Draußen im fahlen Licht bemerkte er Tauben. Drei oder vier flogen um den Turm, der bis vor kurzem ihr Zuhause gewesen war. Einer der neuen Wachmänner, ein ehemaliger Mittelgewichtsboxer mit einem blinden Auge, schwenkte einen Besen aus dem offenen Kippfenster, um die Tiere zu vertreiben.
    »Um ehrlich zu sein, bin ich nicht ganz unglücklich darüber, dich loszuwerden.« Townsend verschränkte die Arme vor der Brust und atmete tief ein und aus. Seine Augen waren braun, nicht wirklich unfreundlich. Er hatte eine geschwungene Oberlippe und kleine, viereckige Zähne. »In deiner Akte steht zwar, dass du überdurchschnittlich intelligent seist. Ein Genie. Musikalisch.« Zum ersten Mal lächelte er, ein spöttisches Grinsen. »Das mag alles sein. Mich interessiert aber viel mehr, dass du Häuser anzündest. Dass du dein superkluges Hirn dafür benutzt, Feuer zu legen. Brände, bei denen du nicht nur dein verpfuschtes Leben beenden willst, sondern auch das anständiger Menschen.« Er erhob sich, knöpfte sein Jackett zu und sah dabei auf eine helle Tafel, an der mit Magneten Zettel gleicher Größe befestigt waren. »Deshalb bin ich froh, dass du verschwindest. Soll sich deine neue Beschützerin mit deinem verkorksten Ego herumschlagen.« Er ging zum Schreibtisch, nahm einen Umschlag auf und wedelte damit in Wilburs Richtung.
    Wilbur machte ein paar Schritte auf Townsend zu und ließ sich den Umschlag geben. ENTLASSUNGSSCHEIN , SANDBERG , WILBUR stand darauf.
    Townsend drückte einen Knopf auf der neuen Gegensprechanlage.
    »Schicken Sie Michael rein, bitte.« Er atmete hörbar aus, verschränkte die Arme und sah Wilbur an.
    Kurz darauf betrat Cormack den Raum und blieb neben der offenen Tür stehen. Wilbur betrachtete den Umschlag. Er

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