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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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gut und werden nur noch von einem Kopfschuss übertroffen, wo man zu neunundneunzig Prozent draufgeht und einen Schmerzpegel von sechs aushalten muss, wenn man als Waffe ein Gewehr wählt. Mit einer Pistole sinkt die Erfolgsquote um zwei Prozent, und der Schmerzpegel liegt bei dreizehn. Ein leichtes Schaudern befällt mich, als ich lese, dass Selbstverbrennung mit fünfundneunzig Punkten die schmerzhafteste Art ist, sich zu töten, dass sie im Schnitt siebenundfünfzig Minuten dauert und nur in siebenundsiebzig von einhundert Fällen erfolgreich ist. Das Ertrinken in einem See oder Meer ist mit neunundsiebzig Punkten genauso qualvoll wie das Ertrinken in der Badewanne, und beides dauert durchschnittlich neunzehn Minuten. Für die Naturvariante spricht, dass ihr mit dreiundsechzig Prozent fast dreimal so viel Erfolg winkt wie der häuslichen Lösung.
     
    Wenn die Nachtschicht zu Ende ist, esse ich etwas und lege mich dann für ein paar Stunden hin. Ich brauche nicht viel Schlaf. Gegen zwölf bin ich meistens wieder auf und erledige die Arbeiten, für die Dobbs zu alt ist. Vor einer Woche habe ich Randolph dazu überredet, Dobbs als meinen Assistenten einzustellen. Dobbs ist für die leichten Jobs zuständig, ich mache alles andere. Er wandert mit dem Staubsauger durch das Gebäude, ich schleppe die neuen Gasflaschen für Madame Robespierre in die Küche. Er räumt die alten Zeitungen aus der Lobby und leert die Aschenbecher, ich steige in den Liftschacht, um Alfreds Sozialversicherungskarte rauszuholen. Ich zerre den Abfallcontainer über den Hinterhof bis zur Straßenecke, ich streiche Fett in die Scharniere derFeuerleiter, ich säge die Bretter zu, die unter Mazurskys Matratze kommen, damit sein ausgeleierter Rücken nicht noch krummer wird, und ich suche auf dem Dach nach dem Leck, durch das Wasser ins oberste Stockwerk dringt, während sich der Himmel über mir entleert.
    Den Begriff Freizeit habe ich aus meinem Vokabular gestrichen. Wenn ich mal nichts zu tun habe, gehe ich rüber zu Winston und sehe mir die Trümmerteile menschlicher Abstürze an. Oder ich fahre mit dem Bus in der Gegend rum, steige irgendwo aus und suche eine Buchhandlung oder einen Plattenladen. Ich nehme mir ein Buch und setze mich hin, bis die Angestellten mir Blicke zuwerfen oder fragen, ob sie mir helfen können. Dann bedanke ich mich und gehe, ohne etwas zu kaufen. In den Plattenläden höre ich mir stundenlang Musik an. Manchmal bestelle ich eine ausgefallene, nicht vorrätige CD und gebe einen erfundenen Namen und eine falsche Adresse an. Letzte Woche war ich Jimmy Teduski, wohnhaft Montgomery Street 18, Jersey City, und plauderte mit einem Verkäufer aus der Rockabteilung über Kurt Cobains angeblichen Selbstmord und die Frage, ob Elvis sich umgebracht haben könnte. Jimmy Teduski ist der Auftragskiller, den Bruce Willis im Film The Whole Nine Yards spielt.
    Vorgestern verwickelte ich als Maarten Vermeer, Vanderbilt Avenue 312, Brooklyn, die junge Angestellte eines Buchladens in ein Gespräch über Virginia Woolf und fragte sie, ob es Aufzeichnungen darüber gebe, wie kalt das Wasser des Flusses war, in dem die Dichterin sich ertränkt hatte. Die Verkäuferin versprach, sich um die Sache zu kümmern, und verschwand in einem Hinterzimmer. Ich gebe mich gerne als jemand anderes aus, ich selber zu sein fällt mir noch immer schwer.
    Wenn das Wetter schön ist, nehme ich die Reise zum Prospect Park auf mich und setze mich am Rand einer Wiese auf eine Bank. Oft spielen ein paar Jungs Football, jedenfalls so was Ähnliches. Beim Anblick der herumtobenden Schulschwänzer, Tagediebe und Arbeitslosen muss ich an Conor und mich denken und daran, wie wir auf unserem mickrigen Berg gesessen und in unsere enge Welt geschaut haben, tagelang und beinahe bewegungslos, gedankenverloren Bilder und Geschichten verdauend und auf eine bescheuerte Weise glücklich.
    Vor einer Woche saß ich auch da, las Zeitung und sah zu, wie ein RudelHalbstarker den Rasen umpflügte. Obwohl sie offenbar zwei Teams gebildet hatten, war nicht zu erkennen, wer gegen wen spielte. Kaum hatte der Typ, der sich für den Quarterback hielt, den Ball geworfen, stürzten sich alle auf die Stelle, wo das Ei herunterkam. Dann begannen die Balgerei und das Gegröle, und nach einer Weile rappelten sich alle auf, und das Ganze ging von vorne los. Es sah aus, als ob jemand einen Laib Brot in einen Teich wirft und ein Dutzend Enten sich darum fetzt.
    Irgendwann flog der Ball in meine

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