Nach Hause schwimmen
aus den Lügengeschichten des Reporters, die andere aus denen Eamons. Das ein zige, was stimmte, waren sein Name, seine Herkunft und die Tatsache, dass er sehr reich war. Die bessere Gesellschaft Dublins lud ihn zwar nicht zu ihren Partys und Bällen ein, doch noch Monate nach seiner Rückkehr aus Amerika war er bei jedem Auftritt die Quelle von Ge rüchten und das Ziel von Bewunderung und Neid. Vor allem dieDa menwelt schwärmte von dem Burschen mit dem zwischen Schüchternheit und Angeberei flirrenden Blick und dem verschwenderischen Herzen und setzte ihn ganz oben auf ihre Liste der begehrtesten Junggesellen.
Aber Eamon machte sich weder aus den rauschenden Festen noch den dazugehörenden Frauen etwas. Oft blieb er tagelang in seiner Hotelsuite, hörte Musik aus dem Grammophon und trank französischen Rotwein, auf dessen Geschmack ihn der englische Lord gebracht hatte. Das schlechte Gewissen und der Kummer, die seit dem Tod des Matrosen seine steten Begleiter waren, konnte er nicht ertränken, das war ihm nach vielen Versuchen klargeworden. Immerhin half der Alkohol, ihn in eine Dämmerwelt zu verfrachten, in der seine Sünden weniger schwer wogen und das in Stein gemeißelte DU SOLLST NICHT STEHLEN etwas an Kontur verlor und irgendwann in einem Meer aus Bedeutungslosigkeit verschwamm.
Manchmal bewirkte der Wein aber auch das genaue Gegenteil, holte die versunkenen Bilder des Sterbenden aus dem Dunkel und ließ sie vor Eamon aufblitzen, flammende Mahnungen eines Gottes, der nichts ungesühnt lassen würde. Dann warf Eamon sich, falls er nicht schon lag, auf den Teppich und heulte und schrie so lange, bis der Hoteldirektor persönlich kam, die Tür mit dem Universalschlüssel aufsperrte und den schluchzenden Gast beruhigte, indem er eine Wolldecke über ihn breitete, während der Empfangschef die Neugierigen auf dem Flur abwimmelte. Die Dunkelheit unter der Decke ließ Eamon langsamer atmen. Das Gefühl auf seiner Hand, die getätschelt wurde, und die von der monotonen Stimme des Direktors heruntergeleierten Sätze, die Börsenmeldungen sein mochten, Kinderreime und Gebete, machten ihn weich, ergeben.
Leise winselnd und benommen vom Alkohol, legte er schließlich den Kopf auf den Teppich und schlief ein, im Traum weiterhin mit sinnlosen Worten versorgt, obwohl der Direktor das Zimmer längst verlassen hatte. In diesen Träumen liefen die Bilder rückwärts durch Eamons Kopf, vom glitzernden Fluss zur mondhellen Bucht. Immer wieder trat er als Siebzehnjähriger aus dem Haus und ging zum Strand hinunter. Noch einmal sah er das Boot und darin den Matrosen, und noch einmal truger den Bewusstlosen an Land. Doch im Traum bestahl er ihn nicht, ließ die Truhe im Boot und rief seine Eltern. Der Doktor kam rechtzeitig und rettete den Seemann, der allen so dankbar war, dass er seinen Schatz mit ihnen teilte. Im Traum, der guten Version der Geschichte, wurde seine Mutter nicht krank, während er mit dem fremden Gold in Amerika war, um sich eine Legende zu seinem Reichtum anzueignen. In diesem Traum starb sie nicht an einer harmlosen Infektion, die man mit Geld in einem Krankenhaus hätte behandeln können. In diesem Traum war er ein Kind, dumm und wunschlos und ohne Schuld.
Orla lag wach und lauschte dem leisen Wimmern ihres schlafenden Mannes, dessen Rücken im Dunkel neben ihr aufragte als weiße Mauer. Eamon träumte, das wusste sie, und dass es schlechte Träume waren, ahnte sie, obwohl er ihr nie etwas erzählt hatte. Die Worte, die er murmelte, verstand sie nicht, obwohl es immer dieselben waren, seit Jahren. Gab es diese Worte überhaupt, war es eine Sprache? Gälisch vielleicht, das sie als Kind nicht gemocht und als Studentin in England vergessen hatte? Oder stieß er nur Töne aus, hastig genuschelte Laute, die einem wiederkehrenden Muster folgten?
Er roch nach der Erde, in der er begraben werden wollte. Schwere, dunkle Erde, in der er versunken war als Knabe, die bedeckt war mit dem Kot der verhassten Schafe. Weicher, dampfender Boden, den er verlassen hatte und den er mit jeder Faser vermisste, als ein Ozean ihn davon trennte. Neben seiner Mutter wollte er liegen, fünf Schritte von seinem Vater entfernt, der seine Frau um zwei Jahre überlebt hatte, eine Seltenheit in einem Land, wo die Männer lange vor den Frauen starben. Zwei Jahre, während denen Aidan McDermott in Wohlstand dahinvegetierte, das Leben umgekrempelt von einem Sohn, der am Vater eine geheime Schuld abtrug, ihn in eine Wohnung in Dublin
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