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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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war. Der einen Zaun bauen ließ, gegen die Schafe. Später ein Haus, das erste weit herum, das elektrisches Licht hatte. Ein Badezimmer mit Wanne. Das Badezimmer, in dem Orla jetzt stand und ihr Gesicht im Spiegel sah.
    Wenn die Jahre in Cork einen Sinn ergaben, was war dann mit den Jahren danach? Den Jahren hier oben, in denen sie Eamon zusah, wie er ihrem Leben abhanden kam, wie er zweimal am Tag die gleiche Zeitung las, am Morgen von vorne nach hinten, am Nachmittag von hinten nachvorne. Wie er die Kirche bauen ließ, diesen umgedrehten Dampfer, der aus der Erde zu wachsen oder in ihr zu verschwinden schien. Wie er Tee trank, vor der Sonne stand, atmete. Wie er den Blick senkte, wenn er ein paar Worte an sie richtete, wie er tagelang schwieg. Orla drehte das Wasser auf und ließ es über die Hände laufen, warm. Sie hörte Maureens Stimme, die knisterte, als käme sie aus dem Radio, als wäre sie nicht echt, eine Erfindung. Warum hatte ihre Tochter ihr nicht gesagt, dass sie geheiratet hatte, dass sie schwanger war? Orla wäre nach Philadelphia geflogen, auch ohne Eamon. Sie wäre bei Maureen gewesen, in deren Bauch ein Kind wuchs. Vielleicht wäre alles anders geworden, Maureen wäre nicht gestorben, es wäre kein Brief aus Amerika gekommen, in dem stand, sie sei kremiert worden und ihre Asche zur Abholung bereit. Wo war Lennard Arne Sandberg, warum hatte er seine tote Frau und seinen neugeborenen Sohn verlassen und war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben?
    Orla drehte das Wasser ab und setzte sich aufs Bett. Eine Weile sah sie ihren Mann an, dann nahm sie seine Hand und tätschelte sie sanft. Seine Handballen und Fingerkuppen waren aufgerissen und rauh, an manchen Stellen spürte sie Brandwasser unter Blasen. Er flüsterte ein Wort, und als ob sie ihn gebeten hätte, es zu wiederholen, flüsterte er es noch einmal, und es klang wie Himmel. Dann drehte er sich im Schlaf um und zog seine riesige Hand aus der kleinen von Orla, holte Luft in das unbehauste Gewölbe seines Körpers und wurde still. Eine Wolke gab den Mond frei, Licht rann durch die Vorhänge und ließ die Urne auf dem Regal schimmern. Was übrigblieb von einem Menschen. MAUREEN stand in zittriger Schrift auf einem Stück Pappe, das Eamon mit Schnur um das runde Gefäß gewickelt hatte. Maureen, Morean, Mo, Sternchen, zu Staub geworden, das Herz Asche, grauer Puder, ein Nichts zwischen den Fingern.
    Eine Weile blieb Orla noch sitzen, dann stand sie auf, nahm ihr Kissen und ihre Decke und ging über den Flur in Wilburs Zimmer. Sie sah sich satt an diesem Wesen, von dem Wärme aufstieg, legte sich auf den blauen Teppich, das Meer, das sie trug, und schlief endlich ein.

3
    Ich sitze in der Ecke des Fahrstuhls. Auf jeder Etage öffnet sich die Tür. Der Hund, der noch nicht weiß, dass ein Auto ihn töten wird, wedelt mit dem Schwanz. Er ist schwarz und weiß gefleckt, ein Auge braun, das andere blau. Ich will ihn warnen, aber die Tür schließt sich, bevor ich ihm sagen kann, er soll Straßen meiden. Die Tür wird zum Vorhang, ein alter Mann steht da und hält mir eine offene Bibel hin, deren Seiten er umblättert. Ich erkenne einzelne Wörter und will sie aussprechen, öffne den Mund. Der Vorhang schließt sich. Ob ich wirklich fahre oder nur diese Tür, dieser Vorhang geöffnet und geschlossen wird, weiß ich nicht. Die Uniform der Schwester ist die Leinwand, auf der Vögel fliegen. Ich greife nach ihnen, die Tür schneidet mir die Hände ab.
     
    Jemand sagt etwas. Ich vermute, dass die Worte mir gelten. Wenn ich nicht zuhöre, bin ich taub. Wenn meine Augen geschlossen sind, bin ich blind. Wenn ich den Mund nicht öffne, bin ich stumm. Ich muss dem Hotel mitteilen, dass ich bei Gelegenheit meinen Koffer hole, diese Pappwände um nichts, um mein ganzes Leben. Ich muss sie davon in Kenntnis setzen, dass Fledermäuse verwesen in den Schränken. Dass die Bibeln ausgeschüttelt werden müssen nach jedem Gast. Jemand fasst mir an die Augen. Sonne. Winzig, aber hell. Meine Pupille, eben noch ein Planet, wird zum Staubkorn. Vorhang runter, dunkel, danke. Zwei Stimmen. Keine Aufregung. Stille. Warum ist man todmüde, nachdem man Ewigkeiten geschlafen hat?
     
    Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Das ist nicht mein Zimmer, nicht der Raum, in dem ich vorher war. Vorher, das war gestern, vor zwei Tagen, drei. Ich erinnere mich an einen dicken Mann, an Fische. Ich möchte mit jemandem sprechen, möchte schweigen. Natürlich sind meine Hände noch da, ich

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