Nach Hause schwimmen
Scheibe. Elwood stemmte sich aus dem Sofa, setzte den Hut auf und ging durch die von Wilbur offen gehaltene Lücke im schweren Vorhang, der die kalte Luft von der Lobby fernhielt. Wilbur machte die Tür auf, die ohne Schlüssel nur von innen zu öffnen war, und trat hinter Elwood ins Freie. Als Elwood auf dem Treppenabsatz stolperte, hielt Wilbur ihn am Arm fest.
»Hoppla. Geht’s?«
»Ja«, sagte Elwood beschämt über seine Gebrechlichkeit. »Danke.«
Der Mann, der ans Fenster geklopft hatte, kam auf sie zu. Er war klein und schmal, und seine krausen Haare schimmerten im Morgenlicht wie Stahlwolle. Wilbur vermutete, dass er in seinem dünnen schwarzen Anzug fror.
»Sie schickt der Himmel!« rief der Mann an Wilbur gewandt. »Guten Morgen, Elwood.«
»Morgen, Leroy«, sagte Elwood, der sich bei Wilbur untergehakt hatte und mit vorsichtigen Schritten auf einen vor dem Hotel geparkten weißen Kleinbus zuging. Leroy schob die Tür auf und half Elwood in den Wagen, in dem schon mehrere alte Frauen und Männer saßen. Ein Kanon aus Begrüßungen wurde angestimmt.
»Mein Name ist Leroy Perkins«, sagte Leroy und streckte Wilbur die Hand entgegen.
»Wilbur«, sagte Wilbur und ließ sich die Hand schütteln. »Sandberg.«
»Sie sind ein Freund von Elwood?«
»Nun ja, ich kenne ihn erst seit ... ich weiß nicht ... noch nicht sehr lange.«
Leroy strahlte, als sei das eine wundervolle Nachricht. »Es ist schön, wenn die Jungen sich um ihre älteren Mitmenschen kümmern«, sagte er und deutete dann auf den Kleinbus. »Sie müssen sich leider hinten reinquetschen. Donna hat ein schlimmes Bein.«
Auf dem Beifahrersitz saß angeschnallt eine runzlige, herausgeputzte Frau von mindestens achtzig Jahren und blickte konzentriert nach vorne, als würde das Auto fahren. Die Alten auf den Bänken im Fond rutschten enger zusammen. Ein Mann winkte Wilbur zu.
»Oh, ich glaube nicht, dass ich ...«
»Ach was, das geht schon«, sagte Leroy und legte Wilbur die Hand auf den Arm. »Wir hatten mal ein Dutzend Leute da drin.« Er lachte. »Stimmt’s?« rief er. Aus dem Bus kam zustimmendes Gemurmel, dann, von ganz hinten, eine dünne Frauenstimme: »Es ist kalt. Warum ist die Tür offen?«
»Es geht gleich weiter, Rose«, sagte Leroy. Er schob Wilbur mit sanftem Druck in den Wagen, schloss die Schiebetür, setzte sich ans Steuer und fuhr los.
Wilbur saß in einer Duftwolke aus schwerem Parfüm, Rasierwasser, Schuhcreme und Mottenkugeln, beantwortete tausend Fragen und sah, wie sie über die Queensboro Bridge nach Manhattan fuhren. Siehatten unterwegs noch zweimal angehalten. Einmal, um einen alten, gelähmten Mann aus seiner Wohnung im fünften Stock eines Mietshauses mit kaputtem Fahrstuhl zu tragen, und einmal, um in einem Gemeindesaal und der Gesellschaft von mindestens hundert Menschen ein Frühstück einzunehmen, das nicht zufällig mit so exotischen Speisen wie Stockfisch und Bananenbrot aufgewartet hatte, sondern weil Madame Robespierre eine der Köchinnen war. Mit ihrer Anwesenheit war Wilbur auch die Verbindung zwischen Elwood und der Sonntagsgesellschaft klargeworden, in deren Mitte er inzwischen freiwillig und immer entspannter durch die Gegend fuhr. Als die Hotelköchin ihn entdeckt hatte, was nicht lange dauerte, da Wilbur der einzige Weiße in dem mit Kreppblumen geschmückten Raum war, hatte sie ihn, perlende Melodien der Überraschung und Freude singend, umarmt wie einen verschollenen Verwandten.
»Mein Sohn hat mich gestern in der Badewanne vergessen«, sagte der Mann zu Wilburs Linken und grinste, als betrachtete er den Vorfall als gelungenen Streich. »Eine ganze Stunde.« Er hatte schlohweißes Haar und trug eine Sonnenbrille. Sein Mantel war ihm zu groß, die Hände verschwanden in den dunklen Höhlen der Ärmel.
Wilbur stellte sich die Situation schrecklich vor. »Wie unangenehm.«
»Oh, überhaupt nicht«, sagte der alte Mann fröhlich. »Ich habe immer wieder heißes Wasser nachgefüllt.« Jetzt strahlte er, noch immer stolz auf sein bestandenes Abenteuer.
»Da hatten Sie aber Glück«, sagte Wilbur, und sein Sitznachbar nickte. Wilbur überlegte, ob er ihm von seiner Angst vor Badewannen erzählen sollte, ließ es dann aber bleiben und sah aus dem Fenster. Sie bogen auf die Lexington Avenue ab und fuhren nördlich in Richtung Harlem. Beim Frühstück, das für Wilbur trotz des üppigen Angebots nur aus einem Pfannkuchen und einer Tasse Kaffee bestanden hatte, hatte Elwood ihm erzählt, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher