Nach Hause schwimmen
Bagger.
Aimee dreht sich zu mir um, und ich winke. Ich habe meine Probleme gelöst. Ich wohne nicht mehr im Hotel der alten Männer. Ich begleite meinen Vater dreimal in der Woche zur Therapie, und in der restlichen Zeit bringe ich ihm bei, wie man einen Löffel hält und sich Socken anzieht. Ich schiebe ihn im Rollstuhl durch den Park und sage jedes Mal das Wort Hund, wenn uns einer begegnet, Baum, wenn wir einen sehen. Einen Job habe ich auch, ich trage Lunchpakete in die Bürohäuser, wo es Leute gibt, die in der Mittagspause etwas Gesundes essen wollen. Ernest hatte die Idee, und der Kundenkreis wird immer größer. Noch immer habe ich seit Spencers Beerdigung keinen Tropfen Alkohol getrunken. Sogar mein Gedächtnis funktioniert wieder. Ich kann mich daran erinnern, wo ich ins Meer gefallen bin. Ob man mich jetzt schon als normal bezeichnen würde, bezweifle ich, aber ich denke, ich mache Fortschritte.
Aimee ist ein Stück in meine Richtung gegangen, Stewart folgt ihr. Er fuchtelt mit den Armen. Der Motor des Baggers springt brummend an, schwarze Abgaswolken steigen in den Himmel. Ich renne den Graben entlang, aber hinter der Biegung versperrt mir eine Mauer aus Felsblöcken den Weg. Schaufeln stecken in der Erde, am Boden liegen Zementsäcke.
Ich bleibe stehen, schwindlig vom Rennen. Dann springe ich in den Graben. Das Wasser ist kalt und tief. Für einen Augenblick, eine Sekunde, eine Ewigkeit, ist es still und dunkel. Ich schlage mit den Armen und Beinen, schlucke Wasser.
Ich will nicht ertrinken.
Ich ertrinke.
Unbreakable
2000
Als Wilbur aufwachte, war der größte Teil der Woche, für die er im Voraus bezahlt hatte, vorbei. Er zog die Kleider aus, in denen er geschlafen hatte, und ging ins Badezimmer auf dem Flur, um zu duschen. In frischer Unterwäsche, der alten Hose und dem zerknitterten Hemd setzte er sich in ein Imbisslokal und trank drei Tassen Kaffee. Nüchtern, wach und aufgeputscht vom Koffein, kam ihm seine Lage dermaßen trist und ausweglos vor, dass er gegen die Tränen kämpfte. Als die Kellnerin ihn besorgt ansah, legte er Geld auf den Tisch und verließ das Lokal.
Weil es kalt war und er trotz der dicken Daunenjacke fror, ging er zurück ins Hotel, wo ein paar der Gäste, ausnahmslos alte Männer, die Sessel und Sofas der Lobby besetzt hielten. Vom Portier, der nur tagsüber arbeitete und weit weniger gesprächig als sein Kollege von der Nachtschicht war, lieh er sich ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber, ging auf sein Zimmer und schrieb Alice einen Brief.
Später nahm er einen Bus zur Post, blieb sitzen und fuhr weiter bis in die Nähe des Reformkostladens. Seine Geldreserve schmolz, und er dachte daran, sich etwas von Ernest zu leihen, aber als er vor dem Schaufenster stand, kam er sich so erbärmlich vor, dass er wegging.
Eine Woche später arbeitete Wilbur für eine Transportfirma, deren Lastwagen den Hausrat von umziehenden Familien an den neuen Wohnort irgendwo in Amerika brachten. Weil Wilbur für das Schleppen von Möbeln und Kartons zu wenig kräftig und für das Fahren einesGabelstaplers nicht qualifiziert war, wurde er einer Gruppe von zwei Männern und drei Frauen zugeteilt, die sich um das Verpacken kleiner und zerbrechlicher Güter kümmerten. Den ganzen Tag wickelte er in fremden Häusern Vasen, Lampen und Porzellanhunde in Luftpolsterfolie, meistens argwöhnisch beobachtet von Bediensteten oder den Hausfrauen, die das Einpacken ihrer Schätze zwar nicht selber besorgen, aber unbedingt überwachen wollten.
An den Wochenenden floh Wilbur aus der Enge seines Hotelzimmers in eine Gegend im Osten Brooklyns, in die sich Alice oder Ernest und Rebecca kaum verirren würden. Er fand ein libanesisches Lokal, wo es den Kellnern egal war, wenn er einen ganzen Nachmittag nur Kaffee trank und heimlich mitgebrachte Brote aß. Es kümmerte sie auch nicht, dass er einen ganzen Tisch mit Notizheften, Büchern aus der Bibliothek und den Seiten der Bruce-Willis-Biografie bedeckte, an der er nach einem längeren Unterbrechung wieder zu arbeiten begonnen hatte. In einem Anflug von Zuversicht, deren Ursprung Verzweiflung war, redete Wilbur sich ein, das fertige Manuskript schon bald bei einem Verlag unterzubringen und Geld dafür zu bekommen. Vor ein paar Tagen hatte er zudem eine alte Gewohnheit wieder aufgenommen und hielt sich in Internetcafés über das Privatleben von Willis auf dem laufenden, das die Betreiber zahlloser Fanwebseiten mit detektivischer Gründlichkeit und
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