Nach Hause schwimmen
gegangen, hatte durch die rote Tür den Innenhof betreten und dann im Mondlicht fröstelnd das Kräuterbeet betrachtet, das früher sein Sandkasten gewesen und jetzt völlig überwuchert war. Er hatte durch ein Fenster in die Küche gestarrt, auf den Tisch, wo noch immer zwei Tassen und ein Krug standen, und auf die Stereoanlage, deren rotes Auge zurückstarrte. Weder Colm noch ihm war es je eingefallen, im verlassenen Haus den Strom abzuschalten. Nicht einmal den Kühlschrank hatten sie ausgeräumt, und Wilbur stellte sich vor, wie die Lebensmittel darin verrotteten und zu einer grauen Masse aus Schimmelpilzen wurden. Er malte sich aus, wie Ratten ins Haus kamen, an den Leitungen nagten und Kurzschlüsse verursachten und wie das Haus dann endgültig still wäre. Vielleicht deckte irgendwann ein Sturm das Dach ab und ließ die Wände einstürzen. Pflanzen würden alles überwuchern. Das Haus würde sich auflösen und schließlich in der Erde versinken wie die Kirche seines Großvaters. Der Gedanke ließ Wilbur erschauern, und er rannte zurück zu Colms Hof.
Den Fernseher fand Wilbur, ein paar Tage nachdem ihn der Polizist abgeliefert hatte. Er ging selten ins Wohnzimmer, weil darin nichts war außer alten Möbeln und dem Geruch nach kalter Asche, die im offenen, lange nicht mehr benutzten Kamin lag. Die Bücher, die in einem Regal standen, interessierten ihn nicht, weil er aufgehört hatte zu lesen. Er fand, die Entdeckung fremder Welten sei sinnlos, wenn einem schon die eigene zu viel war. Als er das Tuch von der Kiste nahm, entfuhr ihm ein Laut des Erstaunens, und er machte die Tür zu, obwohl er wusste, dass Colm schlief wie ein Toter. Er nahm den Apparat aus dem Karton, kniete sich vor ihn hin und sah ihn eine Weile an, berührte ihn und erschrak ein wenig, als sich sein Gesicht im Bildschirm spiegelte. Dann las er die Bedienungsanleitung, schloss das Gerät an und stellte die Zimmerantenne darauf.
Bevor er das Deckenlicht löschte und die Einschalttaste drückte, horchte er auf Geräusche von oben. Alles war still, kein Wind wehte. Nicht einmal das Holz der Dielen knackte, als Wilbur sich hinsetzte und langsam den Finger ausstreckte, um dem Gerät Leben einzuhauchen wie Gott dem ersten Menschen. Ein Knistern ging durch das erwachendeGehäuse, die schwarze, gewölbte Scheibe öffnete sich zu einem flirrenden Bild, durch das Wellen flossen. Unter einem dumpfen Brummen lag zuerst Musik, dann sprachen Menschen, die als zitternde, von farbigen Flocken umwehte Gestalten in der Dunkelheit des Wohnzimmers leuchteten. Eine Weile saß Wilbur da und betrachtete gebannt das Stück Welt, das sich vor ihm auftat. Er schob die Antenne hin und her, bis das Bild klar wurde und das Brummen verschwand. Drei Kanäle gab das Gerät her, auf einem wurde Gälisch gesprochen. Wilbur versank in den Bildern und Tönen, vergaß die Zeit und auch, dass er eigentlich im Bett liegen und Gott um seinen baldigen Tod bitten sollte.
Sein Leben schien wie ausgeblendet, überstrahlt von der elektrischen Kiste, die gleißend vor ihm schwebte. Es war, als würde er aufhören zu existieren neben diesen Menschen, die durch ein großartiges, unerklärliches Wunder den Raum in Besitz nahmen. Alles außerhalb dieses Kastens, dieses Zimmers, war unwichtig geworden, löste sich auf im Gestöber der bunten Lichtpartikel, die Wilburs Haut bedeckten und seine Pupillen flackern ließen. Er sprang zwischen den Sendern hin und her und ließ die Hand sinken, als der Bildschirm einen Mann zeigte, den er vor drei Jahren in den Schaukästen eines Dubliner Kinos gesehen hatte. Wilbur setzte sich hin und sah sich den ersten Film seines Lebens im Fernsehen an, den ersten, bei dem Orla nicht neben ihm saß.
Im Herbst beschlossen die Behörden, man könne Wilbur nicht länger in Colms Obhut lassen. Der alte Mann, sein Leben lang Junggeselle und nur an Feiertagen in der Kirche anzutreffen, sei wohl kaum in der Lage, sich angemessen um ein Kind zu kümmern. Colm versuchte alles, um die beiden Beamten, die eines Sonntags unangemeldet zu einem Kontrollbesuch erschienen waren, von seinen erzieherischen und haushälterischen Fähigkeiten zu überzeugen, aber es half nichts. Auch Wilburs Flehen und sein darauffolgender Wutausbruch, der einem der Männer vom Sozialamt eine geplatzte Lippe bescherte, konnten an dem Beschluss nichts ändern.
Es wurde eine Pflegefamilie gefunden, noch bevor die Herbstferien begannen. Wilbur weigerte sich, aber Colm erklärte ihm, warum er
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