Nach Hause schwimmen
Schuppen. Mit einem Handtuch trocknete er sich ab, zog Strümpfe und Schuhe an, legte das Handtuch über eine Kiste im Schuppen und schlüpfte durch die Lücke im Zaun. Er schlich sich in die Garage, zog die schmutzigen Kleider aus und stopfte sie in einen Karton,der oben auf einem Schrank lag und aus dem er eine saubere Hose und ein frisches Hemd holte. Weil er vor dem Abendessen immer baden musste, bekam Pauline seine dreckigen Fingernägel und Haare nie zu Gesicht, und nur einmal fragte sie ihn, eher verärgert als besorgt, wie er zu einer kleinen Schramme an der Backe gekommen sei.
Um seine Pflegeeltern nicht misstrauisch werden zu lassen, erzählte er ihnen von Vogelbeobachtungen im Wald, von der Pracht eines Ameisenhügels und der Artenvielfalt in einem Tümpel. Und obwohl Pauline meinte, es sei ihr lieber, wenn Wilbur sein Wissen aus Büchern erwerben würde, statt Feldforschung zu betreiben, fanden sie und ihr Mann sein naturwissenschaftliches Interesse lobenswert. Henry erzählte dann immer, wie er als Junge Gesteinsproben gesammelt und archiviert hatte. Er beschloss, das sei auch etwas für Wilbur, und Wilbur versprach, sich nach dem Studium der Ameisen und Frösche der Geologie zu widmen.
Nach dem Essen musste Wilbur das Geschirr abtrocknen und durfte dann auf sein Zimmer. Dort nahm er das Heft aus dem Versteck hinter dem Schrank und fuhr damit fort, die Handlung des Films aufzuschreiben. Obwohl er nicht gut darin war, zeichnete er das brennende Hochhaus zwischen den Text, einen Hubschrauber, Bruce Willis’ Waffe, einen Feuerball, eine Handgranate. Die Buntstifte, mit denen er malte, waren alles, was von dem Spielzeug, das Wilbur am ersten Tag aus dem Fenster geworfen hatte, übriggeblieben war. Den Rest hatte er unter Paulines strengem Blick vom Rasen aufsammeln und in den Kofferraum des Wagens laden müssen. Dann waren beide nach Letterkenny gefahren und hatten die Sachen im dortigen Oxfam-Laden abgegeben. Pauline war während der Hinfahrt eingeschnappt gewesen, hatte Wilbur Undankbarkeit vorgeworfen und ihm das Elend der armen Kinder veranschaulicht, die bald mit den Plastikautos und Baukästen spielen würden.
Auf dem Nachhauseweg hatte sie ihm eine Predigt über den Wert von Dingen gehalten und gemeint, gerade Wilbur solle für alles, was ihm geboten werde, dankbar sein. Wilbur, der seinen zweiten Tag des Schweigens durchhielt, starrte nach vorne und stellte sich vor, wie er ins Lenkrad griff und der Wagen von der Straße abkam, wie der silberne Toyota sich mehrmals überschlug und auf dem eingedrückten Dachliegen blieb. Er sah sich blutend aus dem Wrack klettern und sich auf den Boden werfen, während das Auto explodierte. Er sah, wie er über die Wiese hinkte und einen Wagen anhielt, den Fahrer mit der Waffe zum Aussteigen zwang, sich ans Steuer setzte und davonraste, wie er Polizeisperren durchbrach, seinen Verfolgern die Reifen zerschoss, das Fluchtfahrzeug mit leerem Tank in einem Wald stehenließ und auf einen Güterzug aufsprang, der ihn wegbrachte, weit weg von hier, irgendwohin, wo niemand ihn kannte.
Dann waren sie zu Hause, und Wilbur fand die Buntstifte im Garten verstreut, zwischen Grashalmen und verborgen unter den gelben Blättern einer Buche.
Um Punkt halb acht kam Pauline in Wilburs Zimmer und ließ ihn wissen, dass es Zeit fürs Bett war. Da hatte Wilbur das Heft längst wieder versteckt, saß an seinem Schreibtisch und las in einem Buch mit dem Titel Schätze der Kiesgrube , das Henry ihm geschenkt hatte. Jedenfalls tat er so, als würde er lesen, und war jeweils froh, wenn Pauline ihn zum Zähneputzen aufforderte. Nachdem er im Bett lag, kam Pauline noch einmal zu ihm, küsste ihn auf die Stirn und löschte das Licht. Wilbur hätte es vorgezogen, nicht geküsst zu werden, aber Pauline fand wohl, sie vermittle ihm damit das Gefühl, richtig zur Familie zu gehören. Gegen acht Uhr öffnete Henry die Tür und wünschte Wilbur eine gute Nacht. Oft erzählte er ihm noch irgendeine Geschichte, meistens etwas mäßig Aufregendes aus seiner Jugend, aber dann rief Pauline von unten, und Henry beeilte sich, ihr im Wohnzimmer Gesellschaft zu leisten.
Henry und Pauline saßen jeden Abend vor dem Fernseher, es sei denn, sie hatten Verpflichtungen in der Gemeinde. Am ersten Freitag jeden Monats fand die Sitzung der St. John’s Community statt, eines Vereins, dessen Mitglieder sich die Verschönerung des Ortes zum Ziel gesetzt hatten, und an jedem zweiten Montag traf man sich im
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