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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Erstaunten und holte einen Bagger aus gelbem Plastik von einem Regal, führte Wilbur die beweglichen Teile vor und meinte, er würde am lieb sten selber inden Garten gehen und damit in der Erde buddeln. Pauline lachte, dann holten die beiden Wilburs Koffer hoch.
    Wilbur setzte sich auf das Bett. Neben dem Kissen lag ein Teddy, der an einigen Stellen kahl war und dessen Knopfaugen lose an Fäden hingen. Wilbur sah an die Wände, ließ den Blick über die gerahmten Bilder gleiten, Drucke, die Segelschiffe und Landschaften zeigten, folgte mit den Augen den Blumenranken der Tapete, betrachtete eine Weile das Muster des Bettvorlegers, schloss die Augen und ließ sich nach hinten kippen. Als Pauline und Henry die Koffer brachten, gab er vor zu schlafen. Er merkte, wie Pauline ihm die Schuhe auszog und dass die Vorhänge geschlossen wurden.
    Als es still war im Zimmer und er nur noch den eigenen Atem hörte, war Wilburs Gefühl der Einsamkeit so groß, dass er alle Kraft aufbringen musste, um nicht zu weinen. Er dachte an den Mann im Film, der so viele schreckliche Dinge erlebt und trotzdem nicht geweint hatte, und im Halbdunkel dieses fremden Zimmers beschloss er, genau so zu werden wie dieser Mann. Dann stand er auf, öffnete den Schrank, holte alles Spielzeug daraus hervor und warf es aus dem Fenster.
     
    Wenn Pauline und das Wetter es erlaubten, schlenderte Wilbur durch die Nachbarschaft. Er hatte sein Schweigen nach zwei Tagen aufgegeben, beschränkte sich jedoch meist auf die Beantwortung von Fragen. Er grüßte jeden höflich, der ihm begegnete, wie seine Pflegemutter es ihm eingeschärft hatte, aber hinter dem Rücken der Leute murmelte er verächtlich und wünschte, sie würden tot umfallen. Viel zu entdecken gab es in der Gegend nicht, und weil er den Kindern, die sowieso nichts mit ihm zu tun haben wollten, aus dem Weg ging, war er ganz auf sich alleine gestellt. Er vermisste Orla, und auch Colm fehlte ihm, aber der Rest der Menschheit konnte ihm gestohlen bleiben.
    Es waren Herbstferien, und die Tage dehnten sich ins Endlose, obwohl Pauline dafür sorgte, dass Wilbur täglich für die Schule lernte und Arbeiten erledigte, die sie und Henry als unangenehm empfanden. So war Wilbur fürs Rasenmähen, Unkrautjäten und Laubrechen zuständig und musste einmal in der Woche den Wagen waschen und die Garage ausfegen. Die übrige Zeit gehörte ihm, und er konnte mit ihr anfangen, waser wollte, solange er keine Dummheiten anstellte, sich nicht schmutzig machte und nicht zu spät zu den Mahlzeiten erschien.
    Am dritten Ferientag entdeckte Wilbur einen leerstehenden Schuppen, der zu einem Haus am Rand des Dorfes gehörte. Der Schuppen war aus Holz und von einem Ring aus Pappeln umgeben, und wenn es regnete, schlugen die Tropfen so laut auf das Blechdach, dass Wilbur seine eigene Stimme nicht mehr hörte. Zuerst hatte Wilbur sich nur vor Regenschauern in die Hütte geflüchtet, jetzt stellte er zwischen den schiefen Bretterwänden Szenen des Bruce-Willis-Films nach, duckte sich unter Salven aus Maschinengewehren, schoss Magazine leer und rief im Regengetrommel Sätze, die sich ihm eingeprägt hatten, weil ein Mann sie sagte, der nichts zu verlieren hatte.
    Der Schuppen wurde zum Hochhausturm, eine leere Kiste zum bodenlosen Fahrstuhlschacht, aus dem Flammenpilze wuchsen. Draußen kreisten Hubschrauber, deren Lichtbündel in den Raum drangen und die Splitter der geborstenen Fensterscheiben aufblitzen ließen. Explosionen sandten Druckwellen aus und warfen Wilbur zu Boden, beißender Rauch machte ihn blind. Eine Wunde am Oberarm verband er mit einem Stück Tuch, das er aus Paulines Putzschrank genommen hatte. Er ging barfuß, wie sein Held, und das Blut war Ketchup. Er hatte die Handlung im Kopf, und wenn er keuchend in einer Ecke saß und in sein Funkgerät sprach, eine Schachtel für extralange Streichhölzer, mit Sand gefüllt und Klebeband umwickelt, ließ er seine Stimme tief und abgebrüht klingen. Aus einer zerknitterten Packung schüttelte er auf Zigarettenlänge gebrochene Äste, steckte sich einen zwischen die Lippen und zündete ihn mit einem leeren Wegwerffeuerzeug an. Er verzog das Gesicht vor Schmerzen, die ein normaler Mensch nicht ausgehalten hätte, klaubte Glasscherben aus seinen Fußsohlen und benutzte Worte wie Scheiße und Hurensöhne. Dann prüfte er das Magazin seiner Waffe und robbte los, um noch mehr Feinde zu töten.
    Bevor Wilbur nach Hause ging, wusch er sich die Füße in einem Tümpel neben dem

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