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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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würde mehr ein guter werden.
    Bei Regen und Sturm, wenn niemand ihn hören konnte, stand Colm auf einem Hügel und schrie hinaus, wie sehr er Orla liebte und vermisste. Er sank in die nasse Erde und weinte und verspottete sich für seine Schüchternheit, rief ohne zu stammeln in den Wind, wie schön Orla sei, pries lauthals die Zartheit ihrer Hände, schwärmte heulend von ihren Lippen und dem Glanz ihrer Augen. Wie leicht und fehlerfrei die Sätze aus ihm herauskamen, jetzt, da Orla sie nicht mehr hören konnte. Und wie schwer sie nun auf ihm lagen, jahrelang zurechtgeschobene Worte, angehäufte Komplimente, das ganze Gewicht nie erfolgter Annäherung.
     
    Etwa drei Wochen nach dem Unfall fuhr ein Polizeifahrzeug auf Colms Hof. Der Beamte aus Portsalon hob einen Karton mit einem Fernseher vom Rücksitz und erklärte, das Gerät habe sich im Kofferraum von Orlas Wagen befunden. Im Glauben, eine gute Nachricht zu überbringen, betonte der Polizist, es handle sich um ein teures Modell aus Japan, von der Qualität des Farbbildes habe man sich auf dem Posten überzeugt. Colm bedankte sich, trug die Kiste ins Haus und stellte sie im Wohnzimmer auf einen der beiden Sessel, die kaum benutzt wurden. Er hielt nicht viel vom um sich greifenden Fortschritt, ihm genügte, dass sein Traktor fuhr und im Haus Licht brannte. Im Kino war er nie gewesen, und was er alle paar Monate bei einem Pubbesuch im Fernsehen sah, bestätigte ihm nur, dass die Menschheit verrückt geworden war. Er dachte daran, das Gerät in Orlas Haus hinüberzutragen, das jetzt Wilbur gehörte, ließ es dann aber bleiben.
    Zweimal in der Woche überwand er sich und ging in das leere Haus, um nach dem Rechten zu sehen. Wenn ihn die Trostlosigkeit der verlassenen Räume nicht schon vorher vertrieb, saß er eine Weile am Küchentisch, drehte eine von Orlas Haarspangen in den Händen und lauschte der Musik, die leise aus dem Radio drang. An manchen Tagen wurden aus den Minuten Stunden, und wenn er schließlich aus seinem versunkenen Zustand auftauchte, lief er verstört ins Freie, werkelte planlos auf einem Feld, fütterte die Tiere und kochte dann das Abendessen, vor demer und Wilbur später sitzen würden, abwesend und ratlos und unendlich erschöpft vor Sehnsucht.
     
    Wilbur wollte nicht wissen, was mit Conor geschah. Auf der Heimfahrt von der Beerdigung hatte Colm ihm erzählt, man habe den Jungen nach Donegal gebracht. Sean Lynch lag im Koma auf der Intensivstation eines Krankenhauses in Dublin. Die Kugel hatte seinen Schädel durchschlagen und steckte in seinem Hirn fest. Sie zu entfernen war unmöglich, also ließ man sie drin. Sean wurde im künstlichen Koma gehalten, Maschinen überwachten seinen Schlaf. Anfangs saßen Aislin und Fiona jeden Tag an seinem Bett, nach einer Weile besuchte Aislin ihren Mann noch zweimal wöchentlich und allein. Sie hielt seine Hand und berichtete ihm von zu Hause, dass die Männer das Sägewerk weiter führten und das alte Abzugsgebläse repariert hatten. Sie erzählte ihm von Kieran, der in der Behindertenwerkstatt Schränke baute, große Möbel aus Massivholz, statt zierliche Bilderrahmen. Sie brachte Fotos mit und Zeichnungen von Fiona, später kam sie mit leeren Händen. Conor erwähnte sie nicht, auch wenn sie sah, dass ihr Mann auf keines ihrer Worte reagierte. Der Junge war von Donegal nach Sligo gebracht worden, wo Experten in seiner Psyche kramten. Fürs Gefängnis war er zu jung, und man wollte ihn auf geistige und seelische Defekte hin untersuchen, bevor er der Obhut einer staatlichen Institution übergeben würde.
    Aislin fuhr dreimal in der Woche nach Sligo, um ihren Sohn für jeweils eine Stunde zu sehen. Am Anfang hatte sie noch geweint und musste vom Personal aus dem Besuchsraum geführt werden, weil sie ohne ihr Kind nicht gehen wollte. Jetzt riss sie sich zusammen und redete mit ihm, brachte ihm Bücher und Tüten mit Lakritzebonbons und verbarg ihr Erschrecken darüber, dass er keine Reue zeigte. Conor tröstete seine Mutter, versprach ihr, alles würde gut ausgehen. Aislin glaubte ihm und fühlte sich schuldig, weil sie sich eine gute Zukunft nur mit ihren Kindern vorstellen konnte, ohne Sean.
     
    Colm wälzte sich jede Nacht stundenlang in seinem Bett. Nickte er aber endlich ein, konnte ihn bis zum Morgengrauen nichts wecken. Deshalb geisterte Wilbur, wenn er keinen Schlaf fand, ungestört durch das Haus,öffnete Türen und Schränke und hörte in der Küche Radio. Nur einmal war er nachts zum Haus

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