Nach Norden, Strolch
gesagt.«
»Das war wirklich zu rücksichtsvoll von Ihnen.« ›Rotbart‹ war liebenswürdig ironisch.
Sobald der Wagen außer Sicht war, schlug er seinem Begleiter auf die Schulter.
»Geh’n wir«, sagte er. »Im Hause des alten Schweden soll es geistern, was? Vielleicht können wir dem Haus einen neuen Geist bescheren.«
6
Jetzt war Oktober völlig wach. Sie sträubte sich nicht, aber griff nach der Hand, die ihr den Mund zuhielt und spannte ihre ganze Kraft an, um sich von diesem erstickenden Knebel aus Knochen und Muskeln zu befreien.
»Keinen Laut«, hauchte er. »Ich habe schreckliche Angst gehabt, du würdest schreien. Jemand schleicht ums Haus.«
Sie nickte. Die Hand wurde fortgezogen, das struppige Gesicht entfernte sich.
»Verzeihung!« flüsterte er. »Kannst du vom Bett aufstehen, ohne Lärm zu machen …? Warte mal!«
Er faßte sie mit beiden Händen unter, sie fühlte sich langsam in die Höhe gehoben.
Die rostigen Sprungfedern zogen sich lärmend wieder zusammen. Er stellte sie sanft auf die Füße, so daß sie mit dem Rücken zur Wand, in der das Fenster war, stand.
»Nicht rühren!«
Der Sturm war vorbei; ihr war, als spüre sie das geisterhafte Licht des Tagesanbruchs im Zimmer, Schweigen … und draußen das Knacken von Zweigen.
Robin, der Strolch, kauerte sich unter dem Fenster zusammen, sie konnte ihn wahrnehmen, einen Fleck, der noch dunkler war als die Dunkelheit des Raumes.
Vor dem Fenster huschte ein Schatten vorbei; jetzt fummelte man am Verschluß. Sie hörte das leise Murmeln gedämpfter Stimmen. Plötzlich erschien ein heller Lichtkreis an der gegenüberliegenden Wand. Jemand suchte mit einer Taschenlampe das Zimmer ab. Der Kreis bewegte sich nach links und rechts, auf und nieder, zielte auf das rostige Bett und verweilte dort eine Weile unentschlossen. Jetzt sah sie Robin deutlich unter dem Fenster zusammengekauert. Er hielt einen Eisenstab fest umklammert, der einmal zum Fenster gehört haben mußte. Sie wunderte sich, weshalb der Mann draußen keinen Weg ins Haus gefunden hatte. Das Licht verschwand.
»Geh zur Zwischentür … den Gang entlang rechts, nimm deine Schuhe mit, aber zieh sie nicht an!«
Sie nickte zu diesem gezischten Befehl, nahm ihre Schuhe und ging auf Zehenspitzen den Gang entlang, bis eine Tür sie aufhielt, Hier wartete sie. Auf einmal hörte sie, wie er auf sie zukam.
»Ist sie offen?« flüsterte er und ging an ihr vorbei.
Der Gang war so schmal, daß sie seinen Hemdsärmel an ihrem Gesicht fühlte. Die Tür war unverschlossen, aber nicht ohne Geräusch zu öffnen. Der Feind war jetzt an der Eingangstür und rumorte an der Klinke. Robin, der Strolch, wartete, bis sich das Geräusch wiederholte, dann stemmte er seine Schulter gegen das Hindernis und schob. Knirschend ging die Tür mit einem Stoß auf. Er streckte die Hand hinter sich, faßte sie am Arm und zog sie durch. Sie befanden sich in einer Küche, in der es nach Erde und Feuchtigkeit roch. Hier war eine zweite Tür … Er tastete die nassen Wände danach ab; über ihnen fehlte stellenweise das Dach.
Ein hämmerndes Geräusch erschütterte das kleine Haus … Robin zerrte an der Tür, die mit einem Ächzen aufging. Oktober atmete den Duft von nassen Blättern ein.
»Hast du deinen Mantel?« Seine Lippen waren ganz dicht an ihrem Ohr. Die stachlige Wange war ihr nicht mehr unangenehm. »Um so besser! Mir nach! Du wirst nasse Füße kriegen, aber das wird dich ja nicht umbringen! Halte dich an meinem Ärmel fest … Wenn ich stehenbleibe, tu das gleiche.«
Er schritt durch wirres Gestrüpp, das einst ein Garten gewesen war. Geräuschlos bewegte er sich in der Richtung des Waldrandes. Sie schlich ihm nach. Ihre Strümpfe waren durchnäßt; einmal trat sie auf einen Dorn und brauchte ihre ganze Selbstbeherrschung, um einen Schrei zu unterdrücken. Auf Umwegen näherten sie sich der Chaussee. Wenn es hell gewesen wäre, hätten sie die Hütte des Schweden noch sehen können.
»Zieh deine Schuhe an - deine Füße werden naß sein.«
Sie hielt sich an seinem Arm fest und zog einen Schuh nach dem anderen an. Ihre Füße schmerzten, und ihre Seidenstrümpfe waren zerfetzt, aber sie freute sich, endlich wieder Leder zwischen ihrem Fuß und der Erde zu haben.
»Keine Eile, es wird sie einige Zeit kosten, bis sie die Hütte durchsucht haben«, sagte er immer noch flüsternd, »und die Bäume werden Lennys Können beeinträchtigen - man wirft mit Messern besser im Freien.«
Irgend etwas
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