Nach Norden, Strolch
verwöhnt.«
Sie merkte kaum, daß er sie inzwischen von der Hauptstraße weggeführt hatte und daß sie einen seiner beliebten Gartenwege entlangstolperten.
Sie schlief im Gehen, den Arm in den seinen eingehängt. Plötzlich drang ihr ins Bewußtsein, daß sie stehengeblieben waren. Sie starrte verschlafen auf einen Streifen schwarz aussehenden Wassers. Ein langer Lastkahn war an einem Pfosten verankert. Es war hell genug, um einen Mann zu erkennen, der am Ufer, in eine grellbunte Decke gewickelt, zusammengerollt dalag. Als sie zu ihm hinkamen, sahen sie, daß er schwarz war und daß seine prächtige Wolldecke nur eine von vielen war. In der Nähe gloste es unter der Asche eines Feuers, ein alter Zinnkessel, vom vielen Gebrauch verrußt, und eine Eßkiste lagen herum. Aber weder der Kessel noch das Futter waren die Ursache jenes tiefen, schnarchenden Schlafs.
Robin hob eine leere Flasche auf und schnüffelte daran.
»Tötet garantiert bis zu einer Entfernung von fünfzig Metern«, sagte er. ›Schneebällchen‹ hat sich dem einsamen Suff ergeben.«
Zwischen Ufer und Lastkahn lag ein Holzbrett; er ging an Bord und blickte sich um. Der Kahn war leer - er sah, daß seine Fracht aus Kohlen bestand. Gegen achtern zu befand sich eine Luke, die nicht verschlossen war. Er untersuchte den engen Raum. Hier war anscheinend der Wohn- und Schlafraum der Mannschaft. Im Bug war ein kleines Abteil mit einer hölzernen Pritsche, sonst fehlte jedes Zeichen von Wohnlichkeit. Der Weg zu dem Verschlag führte durch eine schmale Schiebetür, deren Schließhaken allerdings abgebrochen war.
Er kehrte zurück und fand Oktober am Ufer sitzend, ihre Arme auf den Knien verschränkt und den Kopf auf die Arme gebettet. Er hob sie, wie sie war, auf und trug sie über das Holzbrett, das derart unter ihnen nachgab, daß jeder Meter eine Mutprobe für Robin bedeutete. Endlich bekam er sie in die enge, kleine Koje. Er legte sie, mit dem zusammengerollten Mantel unter dem Kopf, auf die Pritsche, schob die Tür fest zu, streckte sich auf dem Boden aus und fiel in einen qualvollen Schlaf. In seinen Träumen vernahm er Stimmen, die alle saufenden Neger verfluchten, und dann langsame Schritte und eine wimmernde Stimme, die sich in Rechtfertigungen ergoß.
Plumps!
Ein schwerer Gegenstand fiel auf das Deck über seinem Kopf. Er blickte um sich, bemerkte, daß Oktober gefährlich nah an den Rand der Pritsche gerutscht war, schob sie ohne Umstände mit seinem Fuß zurück und schlief wieder ein.
Er erwachte mit einem Geschmack von Teer im Mund und sah Oktober aufrecht auf dem Rand ihrer Liegestatt sitzen und einen Zwieback essen. Ihr Gesicht war schwarz.
»Ein Brief für dich«, sagte sie und gab ihm das Kuvert.
»Ach, ist die Post schon gekommen?«
Zum Lesen fehlte das Licht; er schob den Brief in seine Tasche.
»Er war mit dem Proviant eingepackt«, sagte Oktober. »Wie still ist alles! Du siehst aber komisch aus!«
Sie fing an zu lachen, zuerst ganz still, bis sie die Heiterkeit schüttelte.
»Sollte es der Kohlenstaub auf meinem Gesicht sein, der dich derart erheitert«, sagte er, »so kann ich dir nur raten, dein eigenes anzusehen.«
Sie besaß jetzt eine Handtasche mit einem Spiegel. Ihr Ausruf des Entsetzens war für ihn eine Genugtuung. Er öffnete die Tür ein wenig und blickte vorsichtig hinaus. Achtern sah er den Neger sitzen, die Decke um die Schultern geschlagen, den Kopf auf der Brust und die Hand auf dem langen Ruderbalken. Er schob die Tür ein wenig weiter zurück und drängte Kopf und Schultern hinaus. Vor ihnen fuhr ein kleiner Schlepper, und zwischen Kahn und Schlepper schlug ein Kabeltau im Wasser auf und nieder.
Er ging zu dem Mädchen hinunter, aber die Koje war leer: ein Geheimnis, das sich bald klärte, als sie durch die schmälste Tür, die er je gesehen hatte, herausgekrochen kam. Dort hinten war eine Waschgelegenheit mit einer rostigen kleinen Pumpe, die eine Handvoll Wasser hergab.
»In welcher Richtung fahren wir?« fragte sie erschrocken.
»In dieser«, und er deutete. »Ob wir zum Strom oder nach New York fahren, weiß ich nicht. Wir müssen ruhig bleiben, bis es Nacht wird.«
Er schloß die Tür und ging an die Waschschüssel, wo es ihm gelang, etwas von dem Ruß aus seinem Gesicht zu entfernen. Bei geschlossener Luke war die Luft stickig. Oktober bekam Kopfschmerzen und schlief wieder ein. Etwa jede Stunde ging Robin auf Erkundung. Einmal, als er hinaussah, erblickte er über sich den Schatten großer
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