Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
damals unter Wasser. Aber vielleicht kam es den Teilnehmern auf derartige Details gar nicht an, sondern ausschließlich darauf, den Zauber vom versunkenen Inselreich zu beleben. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie selbst den abstrusesten Theorien freundlich lauschten. Ein Hobbyforscher vermutete Atlantis unter dem seit Jahrmillionen bestehenden Eispanzer der Antarktis, ein anderer in Südindien, weil die Griechen wichtige Erkenntnisse einer indischen Hochkultur importiert hätten. Ein weiterer Vortragender verglich die Daten aus Platons Texten mit den Maßen aller Inseln der Erde und stellte fest, dass die Angaben nur auf eine zuträfen: auf Irland. Dass Irland nicht versunken ist, scheint nebensächlich. Das unterstrich ein chilenischer Teilnehmer, der in seinem Vortrag feststellte: »Atlantis war Israel.«
Wenig verwunderlich also, dass auch die nur bedingt ironisch gemeinte Theorie kursierte, die DDR sei Atlantis gewesen. Die These kommt Platons Idee sogar recht nahe, folgt man Yair Schlein von der Open Universität in Israel. Der Philosoph deutete die Geschichte als Gleichnis, mit dem Platon zeigen wollte, dass in jedem Gemeinwesen der Keim des Niedergangs angelegt ist. Das »selbst-zerstörerische Wesen von Atlantis« lasse sich auch bei bestimmten Personen erkennen, erläuterte Schlein – und bei Atlantis-Theorien muss man wohl hinzufügen, sie waren bisher fast alle dem Untergang geweiht.
Allerdings gibt es womöglich eine Ausnahme: Die Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Siegfried und Christian Schoppe vermuten, Atlantis habe an der Nordküste des Schwarzen Meeres gelegen und sei vor 7500 Jahren vom rasant ansteigenden Meer verschluckt worden. Seinerzeit lag das Schwarze Meer 130 Meter tiefer als heute, bis Wasser aus dem Marmarameer hineinströmte und rund 100.000 Quadratkilometer Ackerland – das entspricht gut einem Viertel der Fläche Deutschlands – in kürzester Zeit überschwemmte. Tatsächlich meint der Meeresgeologe Robert Ballard im Schwarzen Meer in rund 100 Meter Tiefe Überreste steinzeitlicher Siedlungen entdeckt zu haben – ein Beweis, dass Menschen vom Wasser vertrieben wurden. Die Flut führte dazu, vermuten Siegfried und Christian Schoppe, dass sich die indoeuropäischen Sprachen von der Schwarzmeerküste aus in alle Richtungen ausbreiteten. Atlantis habe demnach am einstigen gemeinsamen Delta der Flüsse Bug, Dnjepr und Dnjestr gelegen. Die Fakten aus Platons Geschichte passten zum Fundort ebenso wie die Zeit – nach altägyptischer Rechnung. »Nur das Ortsschild haben wir noch nicht geborgen«, sagt Siegfried Schoppe. Die Deutschen haben derzeit die besten Chancen, in Schliemanns Spuren zu treten. Doch womöglich hatte der das große Vorbild Atlantis bereits selbst entdeckt. Einer der wenigen robusten Atlantis-Theorien zufolge ist die versunkene Stadt nämlich gleichbedeutend mit Troja.
Vielleicht aber ist auch alles ein großes Missverständnis. Der Philosoph Amihud Gilead von der Universität Haifa jedenfalls sticht eine Nadel in den Atlantis-Ballon. Atlantis sei ein Sinnbild Platons dafür, dass die Erkenntnis der Wahrheit unmöglich ist. Die aufreibende Suche nach der versunkenen Stadt untermauert diesen Gedanken eindrucksvoll.
Auch ein anderes Mysterium der Geologie wurde zunächst ins Reich der Legenden verbannt: Doch im nächsten Kapitel wird bewiesen, dass im Tal des Todes in Kalifornien tatsächlich mächtige Felsen über den Wüstenboden streunen, manche schneller als Fußgänger. Noch immer rätseln Wissenschaftler: Was treibt die Felsen an?
15 Das Geheimnis der streunenden Felsen
Mysteriös wie auf einem anderen Planeten gehe es im Tal des Todes zu, staunt NASA -Forscher Brian Jackson. Über den Wüstenboden streunen zentnerschwere Felsbrocken. Seit Jahrzehnten rätseln Wissenschaftler, was die Steine antreibt. Kein Mensch hat die Felsen je in Bewegung gesehen. Aufnahmen mit fest installierten Kameras sind in dem Nationalpark verboten. Doch Hunderte Meter lange Schleifspuren hinter den Brocken künden von den Streifzügen über den »Racetrack-Playa« (auf Deutsch etwa »Rennbahnebene«).
Schon seit 1948 wird das Rätsel untersucht, zuletzt versuchten sich NASA -Forscher um Jackson an einer Lösung. Wissenschaftler wurden so vertraut mit den vagabundierenden Klumpen, dass sie ihnen Namen gaben: »Karen« ist mit 320 Kilogramm einer der dicksten Brocken, sie schaffte in einem Monat nur 18 Meter. »Diane« hingegen zieht es in die Ferne, sie legte in der gleichen
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