Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
Zeit 880 Meter zurück. Gewöhnlich aber hat die Gestalt eines Steins keine Wirkung auf seine Bewegung: Forscher haben ermittelt, dass weder seine Größe noch sein Gewicht noch die Geländeeigenschaften einen Einfluss darauf haben, wie wendig und wie umtriebig ein Felsen ist.
Jeder Stein führt ein Eigenleben. Einige Steine wandern paarweise, ihre kurvigen Furchen verlaufen parallel. Die meisten Felsen streunen bergauf, wenige bergab. Die Steigung ist allerdings minimal, nicht mal ein Zentimeter pro Kilometer Strecke. Viele hinterlassen Zickzackbahnen auf der nahezu planen Wüstenebene. Und vor manchen Spuren fehlen die Steine. Offenbar pflügen manche Brocken regelrecht durch den Sand; sie treiben Bugwellen vor sich her, werfen kleine Sanddünen auf. Matschspritzer lassen darauf schließen, dass die Steine sieben Kilometer pro Stunde erreichen, so die Ansicht der Forscher. Die Felsen würden also Fußgänger überholen. Spaßvögel wollten schon Schilder aufstellen: »Achtung: Umherziehende Steine!«
Eine der größten Forschungskampagnen startete im Sommer 2010, als 17 Wissenschaftler und Studenten unter Leitung von NASA -Forschern in die lebensfeindliche Salz- und Sandebene in Kalifornien reisten. Und als ob das Phänomen nicht schon kurios genug wäre, beteiligten sich an der Expedition ausgerechnet Wissenschaftler der Slippery Rock Universität in Pennsylvania – auf Deutsch würde diese Rutschiger-Fels-Universität genannt. Die Forscher erhielten die Ausnahmegenehmigung, im Nationalpark zu übernachten. »Es war aufregend wie eine Schatzsuche«, erzählte Justin Wilde von der Universität von Wyoming. Doch Expeditionen in die Einöde sind nicht nur abenteuerlich, sondern auch beschwerlich. Messerscharfe Kiesel lassen die Reifen der Autos platzen. Sengende Sonne brennt unerbittlich auf die viereinhalb Kilometer lange und 2,2 Kilometer breite Steine-Rennbahn, ein Hochplateau, das von einer bis zu 3300 Meter hohen Bergkette gesäumt wird. Wetterextreme machen den Forschern zu schaffen. Im Sommer schwitzen sie bei mehr als 50 Grad im Schatten, im Winter frieren sie in Schneestürmen. Starkregen flutet ihre Zelte, Windböen fegen sie weg.
Als einer der ersten Wissenschaftler kampierte im März 1952 der Geoforscher Thomas Clement auf dem Hochplateau. Er hoffte, die Felsbrocken auf ihren Streifzügen zu ertappen. Doch schwere Stürme und heftiger Regen trieben ihn ins Zelt. Erst bei Sonnenaufgang blickte Clement wieder hinaus, das Zelt hatte dem Unwetter leicht lädiert standgehalten. Frische Furchen bahnten sich ihre Wege im Sand – die Steine hatten sich bewegt. Den entscheidenden Moment hatte Clement jedoch verpasst. War der starke Sturm für die Felsenbewegungen verantwortlich?, fragte er sich. Um die größeren Felsen durch den Sand zu schieben, wären allerdings Windgeschwindigkeiten von 800 Kilometern pro Stunde erforderlich gewesen – so stark blasen selbst die heftigsten Hurrikane nicht.
Doch Clement machte an jenem Morgen eine wichtige Entdeckung: Glitschiger Wasserfilm bedeckte die Ebene. Offenbar diente der Regen den Steinen als Schmiermittel. Aber warum, so fragte er sich, verliefen viele Steinspuren vollkommen parallel, als seien die Klötze im Verbund gewandert? Und warum führten die Bahnen anderer benachbarter Steine in gegensätzliche Richtungen, wo der Wind doch nur aus einer Richtung kommen kann? Einige Steine hinterließen gar Kreisbahnen, als wären sie in eine Windhose geraten. Noch heute glauben Forscher, dass der mitunter starke Nordostwind eine Rolle spielt, der sich in einem Tal im Südwesten der Steine-Rennbahn nochmals beschleunige wie in einer Düse. Die meisten Schleifspuren lägen in der Hauptwindrichtung, sie führten von Südwest nach Nordost, bestätigt die Geologin Paula Messina von der San Jose State Universität, die die wandernden Felsen seit 1993 erforscht. Doch seltsam bleibt, dass zahlreiche Steinspuren gen Süden und Osten verlaufen, andere im Zickzack und andere im Kreis.
Wilde Theorien trieben in den letzten Jahrzehnten Blüten: Außer den unvermeidlichen Außerirdischen wurden Tiere verdächtigt, die Steine zu bewegen. Oder erlaubten sich gar schelmische Mexikaner einen Streich, wie Touristen unkten? Nein, Hilfestellende hätten schließlich Spuren im Sand hinterlassen müssen, sagen Wissenschaftler. Sie selbst verdächtigten bereits Erdbeben, Magnetismus, erhöhte Schwerkraft und Wasserströme – doch Messungen ließen all diese Theorien sterben. Immer neue
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