Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
April 1963 erteilte das Ministerium die Genehmigung, den Stausee endgültig zu füllen. Was danach im Berg geschah, haben Emmanuil Veveakis und seine Kollegen von der Technischen Universität Athen am Computer minutiös nachvollzogen. Sie fügten die bekannten Ereignisse und geologischen Informationen zusammen und ließen den Kollaps am Computer in Zeitlupe ablaufen. Während sich der Stausee allmählich füllte, begann der Berg zu vibrieren. Im August setzte sich die Flanke merklich in Bewegung. Am 3. September erschütterte dann ein heftiges Erdbeben das Vajont-Tal. »Alles unter Kontrolle«, beruhigte der Bürgermeister eines Dorfes im Tal die Anwohner.
Am 15. September ruckte die gesamte Flanke am Toc um 22 Zentimeter nach unten. Damit wurde das Argument der SADE widerlegt, das Gestein würde im Ernstfall nicht auf einmal ins Wasser fallen. Die Verantwortlichen sahen ein, dass sie das Projekt stoppen mussten. Sie glaubten jedoch, dass sie nur das Wasser abzulassen brauchten, um die Rutschung zu beenden. Doch auch nachdem die Schleusen geöffnet wurden, bewegte sich die Flanke weiter – bis sie am 9. Oktober 1963 vollständig in den Stausee fiel. In den Tagen vor der Katastrophe war die Bewegung der Landschaft deutlich erkennbar. Bäume, Zäune und Straßen wurden von dem abrutschenden Boden talwärts gezogen.
Emmanuil Veveakis und seine Kollegen haben eine Erklärung dafür gefunden, warum der entscheidende Rettungsversuch scheiterte. Die stete Reibung der Gesteine habe eine Tonschicht unter der Flanke stark aufgeheizt, schreiben die Forscher. Drei Wochen vor der Katastrophe wurde die Hitze so groß, dass sich unter dem Gestein ein heißes Luftkissen bildete – wie unter einem Dampfbügeleisen. Auf diesem Hitzekissen beschleunigte sich die Masse. Schließlich wurde die Bergflanke nur noch von einzelnen Tonmolekülen gehalten, die aneinander hafteten wie Klettverschlüsse. Am 9. Oktober 1963 um 22 Uhr 39 jedoch sprengte heißes Wasser diese Verbindungen bei einem sogenannten thermoplastischen Kollaps. Die Bergflanke rutschte mit fast 100 Kilometern pro Stunde zu Tal und stürzte in den Stausee. Das Wasser schoss über die Staumauer. Es trieb einen Sturm vor sich her, der Menschen im Tal die Haut vom Körper riss. Die Flutwelle löschte fünf Dörfer komplett aus, andere wurden zu großen Teilen zerstört. Im Städtchen Longarone gab es die meisten Opfer.
In Dutzenden Gerichtsprozessen wurde die Katastrophe in den folgenden Jahrzehnten verhandelt. 1971 wurden mehrere Verantwortliche zu Gefängnisstrafen verurteilt. Den Opfern wurde erst 1997, 34 Jahre nach dem Desaster, Schadenersatz von insgesamt 22 Milliarden Lire – heute etwa elf Millionen Euro – zugesprochen. In der Zwischenzeit waren unzählige geologische und technologische Gutachten vor Gericht diskutiert worden. All diese Expertengutachten hatten das Staudammprojekt nicht verhindert. Die Verantwortlichen hätten wohl eher nach der Bedeutung der Landschaftsnamen fragen sollen: Die beiden Bergwände beiderseits des Vajont-Tals heißen »Salta« und »Toc«. »Salta« bedeutet in der Sprache der Einheimischen »Spring«, und »Toc« heißt »morsches Stück«. »Vajont« heißt im Ladinischen, der Sprache der Region in Norditalien, »va giù«, was besagt: »Er geht runter.«
Noch verheerender als der Bergrutsch von Vajont wäre wohl nur ein Meteoriteneinschlag. Tatsächlich krachte vor 15 Millionen Jahren ein 1000 Meter dicker Meteorit auf Süddeutschland – wo heute Großstädte liegen, schlugen tonnenschwere Trümmer ein. Im nächsten Kapitel klären Geologen, warum der Einschlag so explosiv war. Noch in Böhmen finden sich Spuren von Europas größter Naturkatastrophe.
25 Europas Urkatastrophe
Einen Meteoriteneinschlag hat heute kaum jemand auf der Rechnung – doch was nach Hollywoodkino klingt, ist in Deutschland schon passiert. Hätte sich der 1000 Meter dicke Steinbrocken, der einst auf die Erde krachte und so das Nördlinger Ries entstehen ließ, nur um ein paar Millionen Jahre verspätet, wären die Folgen verheerender als nach einem Atomkrieg. Geoforscher haben nun das Rätsel gelüftet, warum der Einschlag so explosiv war.
Vor rund 15 Millionen Jahren krachte bei Nördlingen jenes Geschoss aus dem All mit 70.000 Kilometern pro Stunde in die Landschaft – auf halbem Weg zwischen München, Stuttgart und Nürnberg. Der Meteorit bohrte sich einen Kilometer tief in die Erde und riss einen 24 Kilometer breiten Krater, heute bekannt unter
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