Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
Vajont begann mit Betrug. Die Adriatische Elektrizitätsgesellschaft SADE hatte in den 1930er-Jahren beantragt, ein Wasserkraftwerk in den Bergen 100 Kilometer nördlich von Venedig bauen zu dürfen. Die Firma plante eine abenteuerliche Architektur, wie sie zuvor niemand gewagt hatte: In einem steilen Alpental wollte sie das Wasser mehrerer Flüsse stauen (der Vajont-Staudamm ist noch heute mit 261 Metern der höchste seiner Art). Dabei wussten Geologen um die bewegte Geschichte der Region: Das Vajont-Tal besteht aus dem Erdreich eines Bergrutsches, der vor Jahrtausenden abgegangen ist. Baut man eine Talsperre, wo zuvor ein Berg kollabiert ist?
Mit dieser Frage hielten sich die Verantwortlichen nicht auf. Bereits bei der Genehmigung des Bauwerks ging es nicht mit rechten Dingen zu. Am 15. Oktober 1943 erteilte das zuständige Ministerium der SADE die Bauerlaubnis, obwohl nicht genügend Stimmberechtigte anwesend waren. Die SADE trieb das Projekt mit Entschiedenheit voran. Hunderte Familien wurden enteignet und umgesiedelt. Der Bau der Staumauer begann 1956, noch bevor die Regierung zugestimmt hatte. Einspruch seitens der Politik hatte die SADE nicht zu befürchten. Im Gegenteil: Das Ministerium berief als Sachverständige Geologen, die auf der Lohnliste der SADE standen. Bald stellte sich heraus, dass ihre Expertise unvollständig war. Während der Bauarbeiten rissen an den Hängen über dem Tal Straßen auf. Hastig wurde nach einem geologischen Gutachten gesucht. Doch nur die Flanken unterhalb der geplanten Staumauer waren geologisch analysiert worden. Für die Hänge fehlte ein Gutachten.
Drei Jahre nach Beginn der Bauarbeiten wurden endlich weitere Experten mit Erkundungen beauftragt. Der Österreicher Leopold Müller erkannte als Erster, dass eine Katastrophe drohte: Der Geologe identifizierte eine 600 Meter dicke und zwei Kilometer weite M-förmige Rutschmasse auf dem Monte Toc. Doch Müllers Warnung fand kaum Gehör bei den Verantwortlichen, andere Experten widersprachen. Der Bergrücken bestehe aus kompaktem, stabilem Gestein, erklärte zum Beispiel der Geophysiker Pietro Caloi. Auch der Chefingenieur des Vajont-Staudamms, Carlo Semenza, blieb starrsinnig. Er ließ sich selbst dann nicht beeindrucken, als sein Sohn Edoardo Semenza – selbst Geotechniker – die Planungen infrage stellte. Dieser verschärfte sogar die Warnung von Leopold Müller: Er hatte entdeckt, dass sich 200 Millionen Kubikmeter Gestein auf dem Berg unmerklich talwärts bewegten. Seine Schätzung kam der schließlich abgestürzten Gesteinsmenge ziemlich nahe. Vater Semenza versuchte dennoch, seinen Sohn zu bewegen, die Aussagen abzuschwächen. Doch der weigerte sich. So beschlossen die SADE und Politiker, das nicht genehme Gutachten unter Verschluss zu halten und zu ignorieren. Gegner des Projekts wurden von den öffentlichen Stellen verfolgt: Die Journalistin Tina Merlin etwa, die in einem Zeitungsartikel vor der Gefahr eines Bergsturzes gewarnt hatte, wurde verklagt. Für die Regierung gab es kein Zurück mehr, der Staudamm war im Herbst 1959 fertig geworden. Die SADE begann damit, den See zu füllen, zunächst zur Probe. 1960 war das Wasser so weit gestiegen, dass es an den Fuß der labilen Bergflanke schwappte. Schon im November 1960 gab der Berg eine Warnung: Ein mächtiger Gesteinsblock stürzte ins Wasser, im Hang taten sich meterbreite Gräben auf – sie verliefen M-förmig, wie es Leopold Müller vorhergesagt hatte. Die Gräben umrissen die Gesteinsmasse, die drei Jahre später in den See stürzen sollte.
Nun hatten die Anwohner erkannt, dass sie in großer Gefahr waren. Pietro Caloi bezweifelte jetzt sogar sein eigenes Untersuchungsergebnis. Die Bedrohung schien offensichtlich: Der Berg könnte sich mit Wasser vollsaugen und damit seine Stabilität verlieren. Einzig der vom Staat eingesetzte Geologe Francesco Penta blieb bei seiner Einschätzung, dass keine Gefahr drohe. Im Dezember 1961 erteilte das Ministerium die Genehmigung, den See beinahe komplett zu fluten. Die Füllprobe dauerte bis Oktober 1962. Leichte Erdbeben ließen während der gesamten Zeit das Tal vibrieren.
Die eindringlichste Warnung erhielt die SADE am 3. Juli 1962 von Wasserbauingenieuren. Laborexperimente mit einem Wassertank hatten ergeben, dass das Wasser des Sees nach einem Bergsturz über die Staumauer treten und Siedlungen im Tal überfluten würde. Doch die Firma hielt den Bericht geheim, der Weg war frei für die Fertigstellung des Projekts. Im
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