Nachdenken ueber Christa T.
steig’ hinab in dunkle Stubengrüfte .
Zufall? Ein Versprechen? Sollte dies, einmal, wenn auch unbeholfen, aus dem rohen Stoff herausgearbeitet, sie nicht weiter und immer wieder gereizt haben? Zwölf Zeilen, verblaßte Tinte auf einem losen Blatt, zum Verlieren bestimmt, doch nicht verloren.
Sie hat sich treiben lassen. Noch dreizehn Jahre. Vier Wohnorte. Zwei Berufe. Ein Mann, drei Kinder. Eine Reise. Krankheiten, Landschaften. Ein paar Menschen bleiben, ein paar kommen hinzu. Dafür reicht die Zeit. Was ihr fehlte, war Zeit. Wie aber könnte man das mit Gewißheit sagen?
Zum Glück treibt das Leben selbst die Romanhandlungen an, allerdings nur infolge der seltsamen Inkonsequenz unserer Seele. Ein romantisches Motiv aus ihren Studententagen: Kostja, so nannte sie ihn. Kostja oder die Schönheit.
Das Muster schimmert durch.
Was fehlt der Welt zu ihrer Vollkommenheit? Zunächst und für eine ganze Weile dies: die vollkommene Liebe. Und wenn es nur wegen unserer Erinnerungen wäre, für die man beizeiten zu sorgen hat, und wenn es, zunächst jedenfalls, nur zum Schein wäre. Wer hat da Liebe gesagt? Liebe verbirgt man, unglückliche Liebe verschließt man in sich wie eine üble Krankheit, aber diese beiden, man muß lächeln, wenn sie zusammenstehn. Kann ja auch, zum Spaß natürlich, beiseite treten, laß sie sich aussprechen, sie kriegen ja nicht genug davon. Es ist ja nichts. Noch den unschlüssigen Blick von Kostja auffangen, Leute, er ist der Sache nicht gewachsen, soll er zusehen, wie er zurechtkommt.Er ist, freilich, ein wenig zu schön.
Und wenn es zuerst nur die Augen waren, die nicht mehr loskamen. Wie er ihr gefiel! Er durfte den Kopf nicht drehen, wenn er neben ihr saß, sie knurrte, weil sie sein Profil sehen wollte. Da hielt er still, obwohl sie doch beide wissen mußten: Das Ganze ist ein Mißverständnis, so wie es ein Mißverständnis ist, daß wir zum Glück gemacht sein sollen. Solche altklugen Reden führten sie, denn ernst sollte es ja nicht werden. Wir lassen uns nicht zwingen, das ist ausgemacht, am wenigsten von uns selbst. Wenn ich dich liebe, was geht’s dich an. Halt du nur still, sitz du nur neben mir, laß dich nur anschaun, dreh du nur den Kopf nicht weg, dann knurr ich. Zwingen will ich dich nicht. Wir wollen nebeneinander hergehen.
So arglos war er wieder nicht, aber er ging darauf ein. Ein schönes Spiel, Übung für schwebende Stunden, haarscharf am Rande der Wirklichkeit. Die Luft in Schwingung bringen, die wirkliche Berührung vermeiden. Das Gefühl zügeln. Wenn da aber kein Gefühl ist? Ach, sie war, immer noch lächelnd, längst verstrickt. Die Sinne waren von den Augen geöffnet, das Abenteuer fand statt, die seltsamste ihrer Lieben, die körperloseste. Aber das Grundmuster schimmert durch: Hingabe, was immer daraus folgt. Mangel an Vorsicht und Zurückhaltung. Das Erlebnis bis auf seinen dunklen Rest. Wenn schon Spiel, dann mit hohem Einsatz. Nun hab ich dich durchschaut, sagt er eines Tages, welche Komödie spielst du mir vor! Da weiß sie, daß er fürchtet, sich selbst zu begegnen, die Komödie seiner Eitelkeit zu durchschauen, die sie liebt – das ist das Wort: liebt – und nicht verlieren kann, da lacht sie: Wenn ichspiele – was kümmert’s dich? Und hat ihm die Leichtigkeit zurückgegeben, die Unverantwortlichkeit, die Bestätigung seiner Makellosigkeit, die er braucht. Seine Moral als Waffe, seine Keuschheit als Panzer, weil die ganze Welt ihn mit unendlichen Farben und Formen und Gerüchen bedroht, die er nicht aushielte. Sie aber, waffenlos, ausgeliefert, hält stand, lächelnd, spielend, verwundet von Liebe.
Bettinen, sagt er, und Anetten gibt es nicht mehr, solltest du das nicht wissen?
Das heißt? fragt sie ihn.
Daß du unzeitgemäß bist.
Ja, sagt sie. Das kann sein. Dann werde ich nicht lange leben. Du aber, mein lieber Kostja, wirst sehr alt werden, das soll kein Vorwurf sein. Lach doch. Ich lach ja auch. Mal hab ich einem drei Fragen gestellt, drei Proben. Eine fast richtig und eine gar nicht und eine falsch beantwortet, mehr kann man wohl nicht verlangen. »Vollständig« hat er immer gesagt, ich kam aus dem Staunen nicht heraus.
Sie sind zum Stausee gefahren, und er liegt neben ihr, sie kann zu ihm sprechen wie zu sich selbst: Das ist aus dem allen doch herausgekommen. Sie schwimmen und rudern, sie legen sich auf den Rücken, schließen die Augen, das Blau ist nicht auszuhalten und macht ein Ende mit der Komödie. Das ist der Tag, kein
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