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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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stellt sich dumm. Aber er ist gerissen, erwill Siegfried seine Überflüssigkeit beweisen, weil er unproduktive Arbeit tut. Ach Gott, das ist die Stelle nicht, wo Siegfried empfindlich wäre, die staunen sich gegenseitig bloß an. Aber ich kenne Justus. Ich kenne auch dieses Denken ein bißchen, wissen ... weißt du, ich hatte auch mal ein paar Semester Politökonomie in Ostberlin. Meine Güte, jedes System hat seine Logik, wenn man die Prämissen angenommen hat, finden ... findest du nicht? Da rutscht man leicht hinein, wirklich, ich weiß, was ich sage. Auf einmal fängt man selber an, von Sinn und Verantwortung zu schwafeln, alle diese hochtrabenden Worte ...
    Zum Glück ist sie noch rechtzeitig auf die Schwachheit der menschlichen Natur gekommen. Nein wirklich, sieh mich nicht so strafend an. Aber Christa T. guckt nicht strafend, sie hat gerade gedacht, daß die Idee von der Schwäche der Menschennatur der Cousine gut steht und daß sie das weiß und deshalb gerade sie aus der ohnehin nicht großen Auswahl von Ideen herausgezogen hat. Sie hat aber gar nichts gegen Leute, die weiter an das Gute im Menschen glauben wollen, oder wie sie es nennen, über ihr fünfundzwanzigstes Jahr hinaus, wirklich nicht. Idealismus – wer sehnte sich nicht manchmal danach? Wir hier, weißt du, sind eigentlich schrecklich materiell, du riechst so was und rümpfst die Nase, wenn du bloß über die Schwelle trittst.
    Hab ich die Nase gerümpft? fragt Christa T. erstaunt. Da lacht die Cousine, wie sie früher gelacht hat, so daß Justus herüberschaut und Christa T. versteht, wie sie seine Lieblingscousine hat sein können. Da gibt sie auch das Naserümpfen zu, bloß den Grund dafür verschweigtsie, aber es reicht schon, auf das neue Einvernehmen einen Whisky zu trinken, schottisch, on the rocks. Aber daß dies der erste in ihrem Leben ist, kann doch nicht wahr sein, mein Gott, was du alles noch vor dir hast! Und in wie viele Wasser ist man selber schon getaucht ...
    Wasser, sagt Siegfried, na Kind, du stapelst tief. Er nennt dafür Schnapsmarken, da hat er Kenntnisse, die man bewundern muß.
    Doch dann kommen noch ein paar Tanten und spülen eine Mitleidswoge mit sich herein, und böse Worte kommen über ihre unbefangenen Lippen. Terror, sagen sie, während sie Nußtörtchen essen, ihr armen Kinder, sie bringen euch wahrhaftig dahin, daß ihr sie nicht mehr vermißt ... Wen denn, Tante Hermine? – Da ist ihr Gesicht ein einziger Verweis, und aus ihrem Mund kommt geheimnisvoll die Losung: Freiheit ...
    Die Cousine zieht Christa T. in die Küche. Seine Verwandten kann man sich nicht aussuchen, sagt sie und fängt an, Gewürzdöschen in eine kleine Falttasche zu packen. Die nimmst du mit, das habt ihr doch bei euch nicht, und Justus liebt gutgewürzte Speisen, mach keine Sperenzchen, ich kenn ihn. Oder soll ich dir lieber einen Büstenhalter schenken? Dies ist übrigens der Tee, den er am liebsten trinkt, er wird dir zeigen, wie man ihn zubereitet, er hat es von mir. Laß gut sein, ich gönn ihn dir ja. Aber kommt manchmal, abgemacht? Sag, wenn ihr was braucht; wenn du dich genierst, werd ich böse. Warum soll Siegfrieds unmoralisches Geld nicht euer moralisches Leben ein bißchen verschönern ... Daß du Bananen kriegst, wenn das Baby da ist, versteht sich.
    Aber woher weißt du, daß ich ...
    Da kann die Cousine sie nur mitleidig ansehen. Kinder, sagt sie. O ihr Kinder!
    Justus fand, sie habe sich gut gehalten, aber nun werde geheiratet. Keine Zuschauer bitte, keine Mitteilung, an niemanden, die Angestellte des Amtes für Personenstandswesen wird nervös, sie kommt sich geduldet vor, sie macht es kurz. Ja sagen beide, dann leisten sie sich ein Taxi, lassen sich in das neue Restaurant in der Stalinallee fahren und essen eine Grillplatte und Halbgefrorenes. Ich bin ja nicht dabeigewesen, aber irgendwann an diesem Tag muß Christa T. ihren Mann daran erinnert haben, daß jeder gute Liebesroman mit der Hochzeit zu Ende ist. Wahrscheinlich waren sie da schon in ihrem großen leeren Zimmer, in dem nur die breite Matratze stand, und der Augenblick kam, sich bewußt zu werden, daß sich ein wirkliches Hochgefühl nicht an die Tage hält, an denen man es erwartet. Ganz passabel, sagt sie, war ihnen zumute, als sie abends in der Oper saßen, aber schon in der Pause müssen sie gehen, ihr ist nicht gut. Er kriegt nichts aus ihr heraus. Viehdoktor nennt sie ihn, er wird wütend vor Hilflosigkeit, und das ist ihre Hochzeitsnacht. Am nächsten Tag

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