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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Die Frau sitzt ihm gegenüber und starrt ihm die ganze Zeit mit finsterem, verlangendem Blick ins Gesicht, auf dem sich kleine Schweißtropfen bilden. Sie beugt sich vor, damit sie ihn nicht aus den Augen verliert. Sie hat einen gesunden, schweren Körper, einen fleischigen Kopf, zurückgekämmtes dunkelblondes Haar, aber sie kann sich nicht auf sich selbst verlassen, sie muß sich diese silbrig glänzenden Hänger in die Ohren schrauben, die so sehr abstechen von ihrer finsteren Leidenschaft.
    Wenn sie geglaubt hat, ihre alte Angewohnheit, die Leute zu beobachten, werde sie ablenken ... Ob er mich abholen wird oder nicht, wie er mich ansieht, was er als erstes sagt – das wird alles entscheiden. Nur daß er bestimmt da ist. Daß sein Blick mir in jedem Fall in dieGlieder geht, es genügt ja, ihn sich bloß vorzustellen, wie oft in dieser Woche, und er nutzt sich nicht ab ... Und daß er gar nichts mehr sagen kann, was gegen ihn ausschlagen würde.
    Aber ich kann doch noch machen, was ich will?
    Der junge Mann ist endlich erwacht, sein erster Blick trifft auf den Blick der Frau, dann sieht sie weg, reißt ihren Jungen am Arm, er soll dem Vater Platz machen. Auf irgendein Ergebnis laufen immer alle Bewegungen hinaus, jung und grün ist man auch nicht mehr, sechsundzwanzig inzwischen, man hat schon gespürt, daß man auch zu unentschieden sein, daß man auch aus Unbescheidenheit – oder wie soll man das nennen? – den Augenblick verpassen kann, für Liebe, für Leben, für alles, wofür es keinen Ersatz gibt. So muß man sich binden?
    Justus sah ihr entgegen, sein Blick war, wie sie ihn sich wünschen konnte, er bemerkte alles: wie lange sie vorhin vor dem Spiegel gestanden hatte, daß ihre Haare kurz waren; aber sie spürte nur, daß alle Vorbehalte sich auflösten, wie sie ihm entgegenging, und als sie nahe genug an ihn herangekommen war, blieb nicht einmal eine Erinnerung an Zweifel. So und nicht anders, dabei blieb es dann.
    Natürlich hat sie auch Schutz gesucht, vielleicht hätte man das früher sagen sollen, und wer würde es ihr verdenken? Dämme bauen gegen unmäßige Ansprüche, phantastische Wünsche, ausschweifende Träume. Einen Faden in die Hand nehmen, der in jedem Fall, unter allen Umständen weiterläuft, an dem man sich, wenn es not tut, halten kann: den alten Faden, der aus soliden Handgriffen und einfachen Tätigkeiten gemacht ist.Handgriffe und Tätigkeiten, die man nicht nach Belieben ausführen oder unterlassen kann, weil sie das Leben selbst in Gang halten. Kinder zur Welt bringen, alle Mühen auf sich nehmen, denen sie ihr Leben verdanken. Tausend Mahlzeiten zubereiten, immer aufs neue die Wäsche in Ordnung bringen. Die Haare so tragen, daß sie dem Mann gefallen, lächeln, wenn er es braucht, zur Liebe bereit sein.
    Sie nimmt den Vorteil wahr, eine Frau zu sein.
    Damals muß sie sich verändert haben.
    Wenn man es mit nackten Worten sagen dürfte, müßte man sie schön und eigenartig und glücklich nennen, so ist sie auf den Bildern, die von unseren Silvesterfeiern übriggeblieben sind. Schön und eigenartig durch Glück, jetzt wird mir bewußt, daß Unglück die Menschen gleich macht, aber Glück nicht, Glück macht sie einzig. Auf den Bildern sieht man, wie sie lachen konnte, sogar, daß sie noch staunen konnte über Wunderkerzen. Was man nicht sieht, ist, sie machte Ernst mit sich. Sie schuf sich noch mal neu, von Grund auf, für Justus, das war beileibe keine Mühe, sondern das größte irdische Vergnügen, das ihr je untergekommen war. Nichts konnte so banal sein, daß sich nicht wenigstens ein Spaß daraus ziehen ließ, manchmal aber eine wirkliche Freude, es war nicht zu glauben. Der Dorfpolizist, sagte sie, der Justus zusammengestaucht hat, weil er mit dem Goldfischglas unterm Arm zum Teich schlich? Kennt ihr nicht? Was er da wolle? Die Goldfische aussetzen! Da gab’s kräftig was hinter die Ohren. – Ach, ihr! Ihr seht ihn wohl nicht da stehen, das begossene Pudelchen? Ich seh ihn.
    Sie sah jedermann an jedem beliebigen Ort, wenn sienur ein paar gediegene Zutaten hatte, ein Goldfischglas und die Dorfpolizei zum Beispiel. Da klebte sie sich sogar einen Bart an, damit wir ihn auch sehen sollten. Der Bart ging dann schwer ab, als wir auf das neue Jahr anstießen. Neunzehnhundertsechsundfünfzig. Jetzt brauchen wir jedes einzige Jahr, die Großzügigkeit ist uns ganz vergangen, mag sein, wir werden noch lernen, mit Tagen zu rechnen. Und mit Stunden.
    Überhaupt war sie da schon

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