Nachhaltig tot (German Edition)
berühmten Juristen machen würde, noch vor seinem zweiten Staatsexamen. Er war ganz besessen von dieser Aufgabe und deshalb haben wir uns ja in letzter Zeit auch nur noch so wenig gesehen.“ Melanie hatte den Blick auf ihre Oberschenkel gerichtet und knibbelte mit ihrem Fingernagel an einem Fleck auf ihrem rechten Hosenbein herum. Gerade, als Nadja fragen wollte, wo sie am Abend des Verschwindens ihres Freundes gewesen sei, kam Jan mit einer Akte in der Hand hereingeplatzt und legte diese wortlos vor Nadja hin, die ihn fragend ansah. „Sorry, dass ich störe, aber das musst du dir kurz ansehen“, ermunterte ihr Kollege sie. Nadja schlug den Deckel der Akte auf und überflog kurz den Text auf der ersten Seite. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, klappte sie den Deckel wieder zu und wandte sich erneut an Melanie. „Würden Sie Ihren Freund als ehrgeizig beschreiben?“ Die Befragte nickte wieder. „Oh ja, sehr sogar. Er will unbedingt von der Kanzlei übernommen und dort später Partner werden. Am besten noch der jüngste Partner, den es je gegeben hat“, gab sie zurück. Nadja stand vom Tisch auf und streckte ihr die Hand entgegen. „Vielen Dank, das war es dann fürs Erste. Wir melden uns bei Ihnen, sobald wir etwas wissen. Glauben Sie mir, wir geben uns alle Mühe, Ihren Freund zu finden.“ Melanie sah die Kommissarin dankbar an und verabschiedete sich. Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, schloss Jan die Tür hinter ihr. „Und was sagst du dazu? Das ist ja wohl der Oberhammer!“, wollte er aufgeregt von seiner Kollegin wissen. „Ich habe es nur kurz überflogen, um was geht es denn genau?“ „Wir haben doch bei der Durchsuchung von Marcels Wohnung seinen privaten Laptop und diesen USB-Stick gefunden. Unsere Techniker haben jetzt beides ausgewertet und ein Protokoll und ein gemeinsames Gutachten von dem Vermissten und dem Toten gefunden.“ Nadja nickte zustimmend. „Und es geht um den Kauf des Solarparks, oder?“ Sie sah ihren Kollegen gespannt an, und Jan ließ sich nicht lange bitten. „Also zuerst einmal zu dem Protokoll. Es gab wohl eine geheime Sitzung, bevor der Kauf des Solarparks abgeschlossen wurde. Sie fand in einer Villa, dem Hofgut Goldberg, statt. Das ist mitten auf dem Land, also schön weit ab vom Schuss. Niemand konnte die Teilnehmer kommen und gehen sehen. Neben dem Minister war aber sowieso nur eine Handvoll Eingeweihter dort - der Vorstandsvorsitzende und der Direktor des spanischen Investors, der Pressesprecher von Dr. Blum und Dr. Roland Fürst, der Inhaber der Kanzlei.“ Jan sah seine Kollegin bedeutungsvoll an, bevor er weitersprach: „Die illustre Runde hat den ganzen Tag und die ganze Nacht über verhandelt und gegen vier Uhr morgens wurde eine schwerwiegende Entscheidung getroffen.“ Jan machte eine weitere Kunstpause und nahm einen Schluck des inzwischen schon kalt gewordenen Kaffees, der vor ihm auf dem Tisch stand. Er verzog das Gesicht und stellte die Tasse wieder ab. „Der vereinbarte Kaufpreis von zehn Milliarden für den Solarpark entspricht fast einem Drittel des gesamten Jahreshaushalts des Landes. Das ist eine Summe, über die der Minister alleine überhaupt nicht entscheiden kann. Eigentlich hätte es bei einem so hohen Preis eine Abstimmung im Landtag geben müssen - vorher hätte der Kaufvertrag gar nicht abgeschlossen werden können. Aber dieser Weg war den Herren wohl zu lang oder zu unsicher und deshalb entschieden sie sich in dieser Nacht, den Landtag lieber gar nicht erst zu fragen. Das ging aber nur über einen Trick, der offenbar auf das Konto von Dr. Fürst geht: Er hat ein rechtliches Schlupfloch und einen Präzedenzfall gefunden, nach dem der Minister ausnahmsweise ganz alleine entscheiden darf, nämlich dann, wenn es für das Land von übergeordneter und essenzieller Wichtigkeit ist und dem Land ohne die sofortige Entscheidung ein ernsthafter Schaden drohen würde. Also hat Dr. Blum mitten in der Nacht durch seine Unterschrift das gesamte Geschäft sofort abschließen können.“ „Und das Land hatte durch seine Unterschrift auf einen Schlag zehn Milliarden Euro Schulden“, fügte Nadja hinzu. „Aber warum hatten sie es damit so eilig?“ Jan blätterte durch den Stapel Akten. „Vielleicht aus Angst vor der Opposition. Dazu steht hier irgendwie nichts“, murmelte er. „Aber das Beste kommt sowieso erst noch: Das Protokoll, das wir auf dem Laptop gefunden haben, war natürlich streng geheim, aber die beiden Referendare haben es
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