Nachhaltig tot (German Edition)
ihrer lebensfrohen, fast kindlich scheinenden Unbedarftheit reißen würde. Sophie stellte gerade zwei große Tassen Kaffee vor den beiden Kommissaren ab, als Nadja hörte, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Melanie kam wenige Augenblicke später zögernd in die Küche. Nadja lächelte sie freundlich an. Die Freundin des Vermissten sah blass aus, nur ihre Augen und die Nasenspitze waren gerötet, die Wimperntusche verlaufen, als hätte sie geweint. „Die Herrschaften sind von der Polizei und wollen dich gerne sprechen“, stellte Sophie die beiden Kommissare vor, bevor diese selbst etwas sagen konnten. Nadja hatte das Gefühl, dass Melanie augenblicklich noch ein wenig blasser wurde. Sie stand auf und ging einen Schritt auf sie zu. „Frau Leimer, Sie haben Ihren Freund als vermisst gemeldet. Wir möchten Sie nur fragen, ob Sie uns vielleicht eine benutzte Zahn- oder Haarbürste Ihres Freundes geben könnten? Außerdem müssen wir wissen, ob Sie eventuell auch zu einer Identifikation bereit wären?“ „Eine Identifikation? Ich verstehe nicht so ganz …“, stammelte Melanie matt. „Bitte machen Sie sich keine Gedanken, das ist eine reine Routine-Maßnahme und hat sicherlich gar nichts mit Ihnen und Ihrem Freund zu tun. Im Grunde geht es nur darum – wir haben eine Leiche gefunden und möchten gerne ausschließen, dass es sich dabei um den Vermissten handelt.“ In Melanies Ohren begann es zu rauschen. Ihre Handflächen wurden nass, sie vergaß zu atmen, vor ihren Augen wurden die Küche, Sophie, die beiden Fremden immer dunkler, es wurde schwarz um sie, ihre Beine gaben nach, es wurde unglaublich still …
***
Jan stand vor dem Schreibtisch, trat von einem Bein aufs andere und sah Nadja mit fragendem Blick an, während sie mit der Gerichtsmedizin telefonierte. „Du wirst es nicht glauben“, sagte sie, als sie aufgelegt hatte, „der Tote ist nicht der Vermisste. Es handelt sich um einen Thomas Weidner. Er ist ertrunken, aber er hatte Rückstände von K.o.-Tropfen im Blut.“ Jans Gesichtsausdruck wechselte von fragend zu erstaunt. „Dann war es also kein Unfall, sondern vielleicht sogar Mord? Jemand hat ihn erst betäubt und dann ins Wasser geworfen?“, mutmaßte er. Nadja schüttelte den Kopf. „Das kann man nicht so genau sagen. Es kann auch sein, dass er einfach noch benommen war von den Tropfen, ins Wasser gefallen ist und sich nicht mehr helfen konnte. Es gibt tausend Möglichkeiten. Jetzt ist es eben an uns, herauszufinden, was genau vor seinem Tod passiert ist.“ „Auf jeden Fall hat derjenige, der ihm die Tropfen gegeben hat, jetzt ein Problem“, gab Jan zurück. „Das ist ja interessant“, rief Nadja, die ihrem Kollegen gar nicht richtig zugehört und auf ihrem PC schon die elektronische Akte der Gerichtsmedizin geöffnet hatte. „Der Tote hat in der gleichen Kanzlei gearbeitet wie der verschwundene Freund von Melanie Leimer.“ „Ob es da einen Zusammenhang gibt?“, fragte Jan. „Vielleicht ein Eifersuchtsdrama? Oder ein blöder Scherz auf einer Firmenfeier? Sie bekommen K.o.-Tropfen ins Glas und einer von beiden fällt auf dem Weg nach Hause benommen ins Hafenbecken und ertrinkt?“, überlegte Jan weiter. Nadja zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. „Auf jeden Fall mache ich mir jetzt ziemliche Sorgen, dass dem anderen vielleicht auch etwas zugestoßen ist. Wir müssen weiter mit Hochdruck nach dem Vermissten suchen – vielleicht haben wir Glück, und er lebt noch. Zwei Vermisste aus einer Kanzlei und einer davon ist bereits tot – hoffentlich sind wir nicht schon zu spät dran.“ In Gedanken ging Nadja bereits die nächsten Schritte durch, die jetzt für sie zu tun waren. Zuallererst mussten sie in die Wohnungen der beiden jungen Juristen, um dort erste Hinweise zu finden.
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„Wissen Sie denn, in welcher Beziehung Ihr Freund zu dem Verstorbenen stand?“, wollte Nadja von Melanie wissen, die sie zur Befragung aufs Präsidium eingeladen hatte. Die Studentin sah noch immer schlecht aus, wirkte ein wenig verunsichert, gab aber bereitwillig Auskunft. Ihr Freund und der Verstorbene seien Kollegen gewesen, sie hätten zusammen gearbeitet, sich aber privat nicht viel zu sagen gehabt. Ob sie wisse, woran die beiden zuletzt gearbeitet hätten, hakte Nadja nach, und die Frau nickte. „Ich weiß es nicht genau, aber es ging um den Kauf dieses Solarparks. Es war eine ziemlich große Sache für beide und Marcel meinte immer, dass ihn die Arbeit an diesem Mandat noch zu einem
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