Nachhaltig tot (German Edition)
dabei mit der Lehne gegen Annes Tisch. „’tschuldigung, aber die Sache regt mich wirklich auf. Besonders jetzt, wo Rainer … Wenn ich nur daran denke, dass einer dieser Spinner ihn auf dem Gewissen hat!“
„Sie denken, es war einer aus dem Ort?“
„Natürlich, was sonst? Einer von den Spinnern ist durchgedreht. Sie hätten mal erleben sollen, wie die ihn angefeindet haben. Bei diesen Versammlungen. Und dann war einmal die Luft aus seinen Reifen und sein Haus mit Mist beschmiert. Das ist doch alles nicht normal!“ Sie schüttelte den Kopf. „Sehen Sie, alle wollen keine Atomkraftwerke mehr, aber wenn wir wegen den Windparks neue Leitungen bauen müssen, geht das Drama los.“
„Nun ja, es geht ja nicht grundsätzlich gegen neue Leitungen, sondern eher um die Frage, ob über oder unter der Erde.“
„Klar, dann sollen die Leute einen höheren Strompreis bezahlen, dann können wir alles auch unterirdisch verlegen.“ Petra Becker holte tief Luft. „Jedenfalls mit Rainer, das war ganz komisch. Ich wäre an seiner Stelle total aggressiv geworden, wäre weggezogen oder hätte dieses ganze verdammte Dorf in Brand gesteckt, aber er hat das den Leuten nicht übel genommen, er hat sich immer mehr zurückgenommen und ist so nachdenklich geworden.“
„Sagen Sie, kennen Sie Peter Dorn?“
„Peter Dorn, den Oberspinner von der Bürgerinitiative? Flüchtig, er hat ja ganz früher auch bei Amprion gearbeitet, und natürlich von den Bürgerversammlungen. Denken Sie, dass der Rainer erschossen hat? Die haben ja alle eine Waffe in dem verrückten Dorf!“
„Also im Moment denken wir noch gar nichts. Wir sammeln erst mal Beweise und Aussagen. Wissen Sie etwas über den Unfall von Peter Dorn?“
„Nicht viel. Peter, Rainer und noch einer … Thelen …“
„Markus Thelen, der Nachbar von Peter Dorn“, half ihr Anne.
„Ja, die drei waren auf Montage, Peter Dorn macht irgendetwas falsch, er bekommt einen Stromschlag, stürzt und hat seitdem diese Behinderung. Und Jahre später fängt er plötzlich an zu behaupten, dass Rainer an dem Unfall schuld sei. Dabei hat Peter noch nicht einmal eine Erinnerung mehr an den Unfall. Er weiß gar nicht, was passiert ist. Der sucht doch nur einen Schuldigen, dem er sein verkorkstes Leben anhängen kann. Ein total kaputter Typ.“
„Ein total kaputter Typ“, Petra Beckers Worte hallten in Annes Kopf nach, die einen Schritt vom Einsatzwagen des SEK zur Seite trat. Hätte sie vielleicht ahnen müssen, dass sich Peter Dorn nicht einfach verhaften lassen würde, dass er jemand war, der nichts mehr zu verlieren hatte? Gestern hatten sie endlich die Tatwaffe in einem nahen Waldstück finden können: eine unregistrierte Waffe, verkauft auf einem Waffenmarkt in Belgien, konnte diese mittels eines EC-Belegs mit Peter Dorn in Verbindung gebracht werden.
„Frau Kremer“, hörte sie plötzlich jemanden rufen, „Frau Kremer, schnell!“ Der Einsatzleiter stürzte auf sie zu. „Peter Dorn will mit ihnen reden.“ Sie sah das Telefon in seiner Hand.
„Frau Kremer, ich weiß, das ist nicht unbedingt Ihr Fachgebiet, aber Sie müssen auf Peter Dorn eingehen. Er darf auf keinen Fall in Panik geraten.“
Michael Keil gab ihr das Telefon.
„Hallo?“
„Frau Kremer?“
„Ja.“
„Hier … hier ist Peter Dorn. Ich muss unbedingt mit Ihnen reden.“
„Ja.“ Anne fühlte sich unsagbar hilflos.
„Frau Kremer, ich muss mit Ihnen reden. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sie müssen zu mir kommen.“
„Ins Haus?“
„Ja, Sie müssen kommen.“
„Nein, ich weiß nicht. Kommen Sie raus, Herr Dorn, ich verspreche Ihnen, hoch und heilig, Sie werden mir alles erzählen können, ich werde Ihnen zuhören.“
„Nein, nein“, seine Stimme wurde verzweifelter und Anne bekam Panik.
„Herr Dorn, dann lassen Sie wenigstens Ihre Kinder gehen. Sie wollen doch auch nicht, dass den Kindern etwas passiert.“
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
„Herr Dorn?“
„Kommen Sie die Kinder holen?“
„Wenn Sie das wollen.“
„Gut, ich mache Ihnen die Tür auf.“ In der Leitung knackte es: Peter Dorn hatte aufgelegt.
Anne blieb wie angewurzelt stehen. Sie sah in die entsetzten Gesichter von Michael Keil und ihrem Kollegen, Thomas Brandner.
„Anne, du kannst doch da jetzt nicht reingehen“, begann Thomas.
„Ihr Kollege hat recht. Sie sind für solche Einsätze nicht ausgebildet, ich kann Sie da nicht reinlassen.“
„Anne, sag was“, Thomas berührte ihren Arm.
Anne
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