Nachhaltig tot (German Edition)
dir höchstens in den Fuß.“
„Und wenn nicht?“, sagte ich mit zitternder Stimme. „Wenn ich treffe? Vielleicht nur durch Zufall?“
Ich sah seinen Adamsapfel von oben nach unten wandern. „Gib sie her“, sagte er, „bevor ich wirklich ungemütlich werde.“
Ich durfte keine Sekunde länger mit ihm reden. Er hatte uns in dem einen Jahr so weichgekocht, dass jeder weitere Satz mich dazu bringen konnte, ihm die Waffe auszuhändigen.
Ich schloss die Augen und drückte ab.
Ich traf ihn mitten in die Stirn. Ungläubig sah ich auf das Loch über seiner Nasenwurzel, das Blutrinnsal, wartete, dass er wieder herumschreien würde, aber er war tot.
Mit weichen Knien ließ ich mich an der Wand hinuntergleiten. Ich saß eine gefühlte Ewigkeit auf den kalten Kellerfliesen. Merkwürdigerweise entsetzte es mich nicht so sehr, einen Menschen umgebracht zu haben, als mit einer Leiche im Keller zu sein. Ich hatte noch niemals einen Toten gesehen.
Die Zeit, bis Frank von der Arbeit wiederkam, verging für mich wie im Rausch.
Übelkeit und Euphorie wechselten einander ab. Als die Zwillinge von der Schule kamen, unternahm ich überhaupt nicht den Versuch, ihnen eine Lüge aufzutischen. Sie hatten in dem einen Jahr genug mitgemacht.
„Maik liegt tot im Keller“, sagte ich knapp, „ich habe ihn erschossen.“ – „Cool“, sagte Jan. Tabea nickte nur. Sie wirkten plötzlich so reif und erwachsen.
Als Frank da war, setzten wir uns an den Küchentisch.
„Was sollen wir nun machen?“, fragte ich. „Wir können schließlich nicht jetzt noch die Polizei rufen, die glauben uns ja kein Wort. Ein Jahr mit einem Verbrecher unter einem Dach, und jetzt ist er plötzlich tot.“
Frank fuhr sich durch die Haare, strich sich über sein immer häufiger unrasiertes Kinn.
„Lass mich nachdenken“, murmelte er.
Den Gedanken, ihn einfach im Main zu versenken, verwarfen wir wieder. Wir waren keine Profis. Wenn wir nachts eine mit einem Zementblock beschwerte Leiche durch die Gegend schleppten, fielen wir garantiert jemandem auf.
„Wir packen ihn einfach in die Kühltruhe“, hörte ich mich sagen, „was sonst macht man mit unerwünschten Leichen?“
Und das taten wir. Frank hatte keine bessere Idee, also nahmen wir meine.
Wir räumten die Truhe aus, packten Maik an Beinen und Schultern und hievten ihn hinein. Später, es war schon Mitternacht, schrubbte ich den blutigen Kellerfußboden, mir Maiks Anwesenheit in der Truhe hinter mir bewusst.
Wir gewöhnten uns schnell an ihn. Hatten wir uns vorher mit ihm als Mitbewohner abgefunden, so arrangierten wir uns nun mit ihm als Leiche im Keller.
Unser Leben hätte wieder seinen gewohnten Gang gehen können, wäre da nicht eine kleine Unannehmlichkeit gewesen.
Maik hatte sich unter fremdem Namen Post an unsere Adresse schicken lassen. Vorher hatte ich nicht auf diese Briefe geachtet, er war ohnehin derjenige gewesen, der die Post aus dem Kasten geholt und kontrolliert hatte, aber nun öffnete ich die Umschläge.
Sein Bruder schrieb ihm aus dem Ausland, wo er einige Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Er wurde vorzeitig entlassen – das „Entlassen“ setzte er in Anführungsstriche – und wollte bei Maik wohnen.
Die Briefe kamen in regelmäßigen Abständen, ich erzählte Frank nichts davon. Ich war entschlossen, auch diese Angelegenheit alleine zu regeln.
Eine Zeitlang spielte ich mit dem Gedanken, Maiks Bruder mit schreibmaschinengetippten Briefen zu antworten, ihn vom Kommen abzuhalten. Aber ich verwarf die Idee als zu gefährlich. Womöglich würde es mir nicht gelingen, Maiks Ton zu treffen, geschweige denn seine unflätige Ausdrucksweise, und das würde seinen Bruder misstrauisch machen.
Ich überredete Frank dazu, zwei neue Kühltruhen zu kaufen.
„Was willst du denn mit zweien?“, fragte er, „reicht nicht eine? Wir essen doch eh meistens Frisches, und denk an die Stromkosten; Kühltruhen ziehen unglaublich viel Strom.“
Ich blieb stur. „Ich will zwei“, beharrte ich, „falls wir doch mal Tiefkühlpizzas oder Eis einlagern wollen.“
„Sowas essen wir doch gar nicht, und das würde auch in eine passen, direkt neben das Gemüse.“ Frank raufte sich die Haare. „Willst du uns ruinieren?“
„Zwei“, wiederholte ich, und nur Tabea sah mich dabei merkwürdig an, als würde sie etwas ahnen.
Die zweite Kühltruhe steht nun leer im Keller. Sie zieht noch keinen Strom.
Ich bewahre Maiks Pistole in meiner Nachttischschublade unter ein paar Büchern
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