Nachhaltig tot (German Edition)
vielmehr noch nicht. Was ich weiß, dass es so, wie Rainer Berger und Markus Thelen es beschrieben haben, nicht gewesen sein kann. Das stimmt nicht mit Peter Dorns Verletzungen überein.“
„Ich danke dir. Ich muss jetzt Schluss machen.“ Anne legte ihr Handy zur Seite.
„War es was Wichtiges?“ Peter Dorn war aufgestanden.
„Nein“, log sie ihn an. „Es ging nur um ein paar Details. Nichts was uns im Moment weiterbringen würde.“
Sie sah Markus Thelen an. Zu gerne würde sie ihn fragen, was damals wirklich geschehen war. Doch es war nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn Peter Dorn erfuhr, dass er jahrelang belogen worden war. Sie konnte nichts anderes tun als abzuwarten. Zu warten und zu beten in dieser gespenstigen Szenerie, ein helles, freundliches Wohnzimmer mit verriegelten Fenstern und zugezogenen Jalousien und drei Menschen, die nicht wussten, wann alles in einer Katastrophe endete oder ob Peter Dorn in letzter Minute doch noch einsichtig wurde.
Plötzlich schluchzte Miriam Dorn laut auf: „Peter, bitte, lass mich gehen, ich kann nicht mehr. Wie lange willst du uns noch festhalten?“
Peter Dorn zeigte keine Regung.
„Peter, sie hat recht“, setzte Markus Thelen nach, „was soll das Ganze hier? Was willst du damit erreichen? Bitte. Ich verstehe dich nicht.“
Mit einem Mal regte sich der Angesprochene. „Ich verstehe dich nicht, Markus. Wie kannst du das so hinnehmen?“ Er stand auf, die Waffe wieder in seiner Hand. „Die machen uns doch unser ganzes Leben kaputt mit diesen Scheißstrommasten. Dieses ganze Haus, weißt du, wie viel Geld und Arbeit ich hier reingesteckt habe? Letztes Jahr habe ich noch den ganzen Keller ausgebaut. Und dann sagen die von Amprion einfach so, dass die mir demnächst einen 70 Meter hohen Mast vor die Nase setzen wollen. Wer hätte das denn ahnen können? Und die Entschädigungen, die die zahlen, sind nur lächerlich. Ich meine, die alte Stromleitung ist ja schon schlimm genug, aber das, was die vorhaben, wird den ganzen Ort zerstören. Wer will denn hier noch wohnen?!“ Er setzte sich wieder. „Mann, Markus, du hast echt Schwein gehabt, dass du deine Ausbauten letztes Frühjahr verschoben hast, sonst säßest du jetzt genauso in der Patsche wie ich. Hier brauchst du doch keinen Cent mehr reinzustecken.“
Anne war gerade etwas aufgefallen. Vorsichtig holte sie ihren kleinen Block aus der Hosentasche. Ihr kleiner Block war vielleicht in den heutigen Zeiten etwas unmodern, aber ihr größter Schatz. Bei jedem Fall schrieb sie dort ein paar Zeilen über alle Beteiligten hinein, sammelte ihre Ideen und Fragen. Den Block hatte sie im Dienst immer bei sich. Sie konnte nur hoffen, dass Peter Dorn sie eben schnell in ihren Block schauen ließ. Sie blätterte auf die Seite von Markus Thelen und flog über die Zeilen: 42 Jahre, verheiratet, 3 Kinder, bis 2006 bei Amprion, arbeitet die letzten Jahre als freier Immobilienmakler, und dann las sie das, an das sie sich noch dunkel erinnern konnte. Sie sprang auf.
„Herr Dorn, sagen Sie, wann genau hat Amprion letztes Jahr die Nachricht mit der neuen Stromtrasse rausgebracht?“
Peter Dorn sah sie verdutzt an, antwortete aber trotzdem: „Das war am siebten Juni.“
„Siebter Juni.“ Anne lächelte. Ohne nachzudenken, ging sie auf Peter Dorn zu. „Sie müssen mir jetzt helfen. Sie haben doch bestimmt irgendwo einen Plan, auf dem die alte und die neue Stromtrasse abgebildet sind.“
„Müsste ich gleich hier haben.“ Er durchsuchte den Blätterstapel, der auf einem der Stühle lag. „Hier.“ Er legte zwei Karten auf den Tisch: Eine zeigte den Istzustand mit der alten Trasse und die andere den Zustand nach Fertigstellung der Bauten.
Anne beugte sich über die Pläne: „Also, im Prinzip läuft es so, dass die neue Trasse einfach neben der alten gebaut wird. Nur an dieser Stelle“, Anne tippte auf das Papier, „scheint das nicht zu sein.“ Sie blickte Peter Dorn, der neben ihr stand und mit in die Karten lugte, fragend an.
„Diese Stelle ist sehr eng und vom Profil schwierig. Diese riesigen Masten können dort nicht gebaut werden. Damit die alte und die neue Trasse zusammenbleiben, hat sich Amprion entschieden, an dieser Stelle die alte Trasse ein Stück zu versetzen.“
„Das heißt also, dass Grundstücke, die jetzt noch einen Strommast im Garten und dicke Stromleitungen über den Köpfen der Bewohner haben, bald das reinste Paradies wären, was natürlich auch eine immense Wertsteigerung
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