Nachhaltig tot (German Edition)
Gebüsch geworfen.
So sehr mich Joes Tod auch belastete, er hatte etwas Positives in mir hinterlassen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich nicht als Verlierer vom Platz gegangen, wenngleich ich mir eine andere Art von Sieg gewünscht hätte. Dennoch war es irgendwie ein erhebendes Gefühl.
Als Joe, alle viere von sich gestreckt, den Fußboden zierte, überkam mich plötzlich neben aller Aufregung ein Gefühl von Macht, zumindest glaubte ich, dass es sich so anfühlen müsste, wenn man die Macht über etwas hat. Was da vor mir lag, war ein Ergebnis, mein Ergebnis, wenn auch ein fatales. Mit einem Resultat aufwarten zu können, war eine völlig neue Erfahrung, eine gute Erfahrung. Ich hatte nicht nach der Pfeife eines anderen getanzt. Ich hatte mich durchgesetzt. Ich hatte etwas geleistet.
Vor meinem geistigen Auge spielte sich das Szenario ab, wie die Polizei mich suchen würde. So übel es auch wäre, wenn man mich als Täter identifizieren würde, aber gesucht hatte mich noch nie jemand. Mich, den Nobody, oder wie Joe es ausdrücken würde, den Motherfucker, würde halb Amerika suchen. Das war einerseits beängstigend, andererseits eine völlig neue Dimension. Aber das war nur eine Vision. Erstens würde mir die Tat nicht nachzuweisen sein, zweitens wusste niemand, wer ich bin, und drittens schon gar nicht, wo ich mich aufhielt.
Ein größeres Problem war meine Aufenthaltsgenehmigung. Ich war als Tourist eingereist und sollte das Land eigentlich nach drei Monaten wieder verlassen, aber das war natürlich nicht meine Absicht. Ich wollte einen Job annehmen, aber dazu brauchte ich eine Aufenthaltserlaubnis, und damit biss sich die Katze in den Schwanz. Sechs Wochen blieben mir noch, aber die Zeit lief mir unerbittlich davon. Ich musste einen Bürgen finden, der mir zur Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung verhelfen und einen Job besorgen konnte. Wie ich diesen Garanten aus dem Hut zaubern sollte, war mir ein Rätsel. Vielleicht würde sich mir unterwegs eine Gelegenheit bieten.
Mittlerweile war ich bereit, Kompromisse zu schließen, was die Transportmittel betraf. Per Anhalter mit den Trucks zu reisen, schien mir eine annehmbare Lösung. Zum einen fuhren die Monster sowieso durchs Land, zum anderen zahlte ich nichts, was bedeutete, dass ich die Luftverpester nicht auch noch finanziell unterstützte.
Mein Englisch ist zwar ganz passabel, aber das Kauderwelsch der Trucker machte mir einige Probleme. Über Arkansas und Louisiana gelangte ich schließlich nach Texas.
An jeder Staatsgrenze schien die Nation neu zu beginnen. Dass die Gesetzgebung in den einzelnen Staaten der USA unterschiedlich ist, war mir bekannt und auch, dass Reisende die Uhr schneller umstellen müssen, als man sich die aktuelle Zeit merken kann, aber dass es die Menschen nicht interessiert, was auf der jeweils anderen Seite der Grenze vor sich geht, überraschte mich. Andererseits beruhigte es mich, denn bei diesem gegenseitigen Desinteresse würde sich ein toter Junkie in Kentucky sicherlich nicht bis nach Texas rumgesprochen haben.
Whatever! Ich musste Leute finden, die mir helfen konnten, und mich nach einer Arbeit umschauen. Ein Trucker namens Will hatte eine Erfolg versprechende Idee, nachdem er mich auf einer Strecke von fast zweihundert Meilen über meine Herkunft, Berufsausbildung und weiteren Pläne ausgequetscht hatte.
„Du bist zwar zu allem fähig und zu nichts zu gebrauchen, Boy, aber du bist ein Deutscher. Geh nach Williamsburg im Gillespie County, dort gibt es eine deutsche Kolonie. Wenn du als Deutscher in Texas irgendwo weiterkommen willst, dann dort.“
Zwei Tage später war ich vor Ort.
An die ersten Tage in Williamsburg erinnere ich mich gerne. Die Luft war frisch und klar, nicht zu vergleichen mit dem überhitzten Loch, in dem ich hier sitze und in dem ich es noch eine Weile aushalten muss.
Williamsburg ist in der Tat einer der schönsten Flecken der USA, zumindest von dem Teil, den ich gesehen habe. Das einzige Manko ist, dass auch dort mit der Energie geschweint wird. Ansonsten war es ziemlich gut dort, wenn Dieter nicht gewesen wäre, oder Dithör, wie sie ihn in seiner Heimatstadt nannten.
In Williamsburg war das Deutschtum allgegenwärtig. Der Mix aus Deutsch und Englisch war lustig, aber er ließ in mir wenigstens ein Gefühl von Heimat aufkommen. „Aschaffenburger Street“ oder „Papst-Benedikt-Church“ klangen ebenso ungewohnt wie „Bismarck-Bar“ oder „Schwarzwald-Winery“. Die Speisekarte im
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