Nachhaltig tot (German Edition)
in der Tasche hatte, erwies sich als glücklicher Umstand. Ich war volljährig und konnte tun und lassen, was ich wollte, Hauptsache, ich setzte das Lebenswerk meiner Mutter fort. Von meinem Vater habe ich nie wieder etwas gehört, was ich in keinster Weise bedauere.
Langsam geht mir die schwüle Hitze dieses Raumes auf den Geist. Auch nachts wird die Heizung nicht abgestellt. Wenigstens geht das Licht um neun Uhr aus, immerhin ein kleiner, wenn auch unbedeutender Beitrag zum Stromsparen.
In diesem Land ist alles anders als in meiner sauerländischen Heimat. Vielleicht hätte ich gar nicht erst herkommen sollen, aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Zu Hause hatte ich nicht bleiben wollen. Die Aktivisten hatten meine Pläne, dass man die Straßenbeleuchtung in den Städten aus Energiespargründen und zur Rettung der Umwelt generell abschalten, ja sogar verbieten sollte, als nicht durchsetzbar abgetan. Sie hatten sich geweigert, mit mir auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Als ich mich mit weiteren guten Vorschlägen als Querdenker nicht hatte durchsetzen können, war ich plötzlich isoliert. Isolation unter Gleichgesinnten macht fürchterlich einsam, mehr noch als unter Fremden. Ich hatte versucht, Zeichen zu setzen, um wieder in ihren Kreis aufgenommen zu werden. Beim dritten Anschlag auf die Straßenbeleuchtung am Rathausplatz, dort wo die Hälfte der Kapazität eines Blockheizkraftwerks in eine des Nachts unbelebte Parkfläche vergeudet wird, war ich erwischt worden.
Die Sachbeschädigung kam mich teuer zu stehen. Neben der Schadensbegleichung von rund zwölftausend Euro wurde mir eine Geldbuße von dreitausendfünfhundert Euro auferlegt. Gut, dass mir meine Mutter ein ansehnliches Erbe hinterlassen hatte. Gebracht hatten die Aktionen nichts. Die Lampen vergeudeten ihr Licht weiterhin, und bei den Aktivisten bekam ich irgendwie keinen Fuß in die Tür. Ich sei zu auffällig, zu wenig Stratege, hieß es.
Auch in der Ausbildung ging es nicht weiter. Musik hatte ich studieren wollen, aber dazu reichte mein Abschluss nicht, und eine Lehre als Schreiner, die mir die Berufsberatung vorgeschlagen hatte, scheiterte an einer Holzstauballergie.
In Deutschland hatte ich keine Perspektiven mehr gesehen, und deshalb beschloss ich, das Haus zu verkaufen und nach Amerika zu gehen. Dort wollte ich von vorne anfangen, Aktivisten suchen und mich einer dortigen Bewegung anschließen. Amerika, das Land der hemmungslosen Energieverschwendung mit unbegrenzten Möglichkeiten. Erst mal für ein paar Wochen. Drei Monate später war ich da. Mittlerweile war ich fünfundzwanzig, das war vor ungefähr zwei Jahren.
Zu allem Übel summt jetzt auch noch der Ventilator sein nervtötendes Lied. Was für ein Irrsinn! Die Heizung lässt mich schwitzen, und der Lufthauch jagt mir eine Gänsehaut über den Körper. Energieverschwendung in zweifacher Hinsicht. Sie kapieren es nicht, ein verrücktes Volk, diese Amerikaner.
Whatever! Wäre ich nach Spanien oder Italien gegangen, hätte ich Joe nie getroffen, und wenn doch, hätte ich ihn nicht verstanden, denn in der Schule habe ich weder Spanisch noch Französisch gelernt. So aber liefen wir uns über den Weg, und das war unser beider Schicksal, mit dem Unterschied, dass ich noch lebe. Joe nicht, und das scheint jetzt ein Problem zu sein!
In diesem bescheuerten Land kommt man ohne Auto kaum von der Stelle. Mein Fahrrad wurde mir quasi unter dem Hintern weggeklaut. Fliegen kam nicht infrage. Nur einmal habe ich diesen ökologischen Schwachsinn zwangsläufig in Kauf nehmen müssen, denn eine Schiffspassage von Europa nach Amerika war mir zu teuer. In diesem riesigen Land wäre die Eisenbahn eine Notlösung gewesen, wenngleich die Dieselloks nur wenig hinter dem Schadstoffausstoß der Autos zurückstehen, wenn man das auf die Passagierzahlen umrechnet. Aber da, wo ich hin wollte, gab es keinen Schienenverkehr. Ich musste kleinere Etappen mit dem Bus hinter mich bringen, eine andere Alternative gab es nicht. Dementsprechend mies gelaunt war ich, als ich in Sisterscrown ankam.
Sisterscrown, Kentucky. Warum ich ausgerechnet dorthin gefahren war, weiß ich heute selbst nicht mehr. Vielleicht weil Kentucky so amerikanisch und dessen Hauptstadt Frankfort so deutsch klingt, oder weil Sisterscrown idyllische Visionen in mir auslöste, ich kann es nicht mehr sagen.
Whatever! Zu meiner schlechten Laune waren der strömende Regen und peitschender Wind hinzugekommen, und der Rucksack
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