Nachhaltig tot (German Edition)
Fluchtreflex setzte ein. Ich eilte zurück in das Haus der Werners und begann, meine Sachen zu packen. Sie fragten mich nicht nach ihrem Sohn, nur warum ich packte. Ich erklärte, dass ich beschlossen hätte, aufzubrechen, so lange das Wetter noch so schön sei, das würde mir die Weiterreise erleichtern. Diesem Argument konnten und wollten sie sich nicht entziehen, sie waren froh, mich loszuwerden. Anscheinend hatte Dieter ihre Aversion gegen mich zusätzlich geschürt.
Am frühen Nachmittag stand ich an der Landstraße und streckte den Daumen in die Luft. Ich wollte Richtung Südwesten an die mexikanische Grenze, weil ich glaubte, nach dem Grenzübertritt erst mal in Sicherheit zu sein. San Antonio schien mir ein geeignetes Ziel, zumindest der Name klang sehr mexikanisch. Nach meiner Information lag die Stadt weniger als zwei Autostunden von Williamsburg entfernt. Dass es von dort aus bis zur mexikanischen Grenze noch über einhundertfünfzig Meilen waren und man nicht so einfach über die Grenze kam, wusste ich nicht.
San Antonio erreichte ich erst am späten Nachmittag, weil es zwei Stunden gedauert hatte, bis ein Truck anhielt.
In San Antonio eine Bleibe für die Nacht zu finden, war schwieriger als erwartet. Die Millionenstadt war total überfüllt, weil ein großes Sportereignis stattfand. Weder in der Metropole noch in den Randbezirken konnte ich mich orientieren und irrte umher, bis ich schließlich völlig erschöpft war. In einem Schnellrestaurant kaufte ich einen Hamburger, obwohl das nicht die Art von Nahrung ist, die ich gutheiße, aber der Hunger war stärker als meine Prinzipien.
Auf einer Bank in einer Parkanlage ruhte ich mich aus und kam zu dem Entschluss, dass es besser wäre, wenn ich sofort aus dieser Stadt verschwände.
Wahrscheinlich hatte man Dieters Leiche schon gefunden, und wenn nicht, würde es sicherlich nicht mehr lange dauern. Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass man seinen Tod mit meiner Person in Verbindung bringen würde, und da die Wörnörs und viele andere in Williamsburg meine Identität kannten, würden binnen weniger Stunden Fahndungsfotos verbreitet werden. Dann würde es vorbei sein mit dem Autostopp und den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich musste mich also aus dem Staub machen, so schnell es ging, am besten direkt über die mexikanische Grenze. Mit etwas Glück konnte mir das noch am gleichen Tag gelingen. Zugegebenermaßen war ich mit dieser Annahme etwas blauäugig, aber das stellte sich erst später heraus.
Einer großen Landkarte, die im Schaufenster eines Reisebüros hing, entnahm ich, dass Laredo der nächstgelegene Grenzübergang war und dass ich am schnellsten über den Interstate Number 35 dorthin gelangen konnte. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie ich in die Nähe dieser Schnellstraße gelangen sollte. Deshalb ging ich weiter durch die Straßen, bis ich schließlich auf eine große Tankstation stieß. Dort wollte ich nachfragen, ob jemand in die von mir angestrebte Richtung fuhr.
Mein Ziel war es, zur Grenze zu kommen, solange die Fahndung nach mir noch nicht angelaufen war. Mir war zwar klar, dass die Kontrollen an der mexikanischen Grenze sehr streng gehandhabt wurden, ich hatte aber die Hoffnung, dass das eher für die Einreise aus Mexiko galt als für die umgekehrte Richtung.
Tatsächlich fand sich relativ schnell eine Mitfahrgelegenheit. Im Coffeeshop der Tankstelle sprach ich eine junge Frau mit mexikanischen Gesichtszügen an. Sie bestätigte, dass sie in die von mir gewünschte Richtung fahren wolle und erzählte, dass sie mit ihrer Schwester unterwegs sei, die gerade auf der Toilette weile.
Es entwickelte sich ein Gespräch, während dessen ich mich als deutscher Tourist vorstellte, der auf seiner Rundreise durch den amerikanischen Kontinent auf dem Weg nach Südamerika sei.
Die Schwestern hießen Sally und Yanina, waren sechsundzwanzig und achtundzwanzig Jahre alt und auf dem Rückweg zu ihrer Mutter in Laredo. Nach Mexiko wollten sie nicht, aber das war mir in diesem Moment egal, Hauptsache, sie nahmen mich mit.
Während der Fahrt quasselten die beiden Frauen pausenlos und rauchten eine Zigarette nach der anderen. Ich saß im Fond und bekam den ganzen Qualm ab. Von dem, worüber sie sich unterhielten, kriegte ich nicht viel mit, weil sie in einem Kauderwelsch sprachen, das wahrscheinlich nur Texaner verstehen, aber ich hatte den Eindruck, dass sie sich über mich lustig machten. Das machte mich wütend, aber ich ließ es
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