Nachhilfe in Erster Liebe
keine Puppe. Sie ist perfekt, aber immer noch nicht gut genug für Jan. Und wenn nicht einmal Patricia oder Siri, die mit ihren langen schwarzen Schneewittchenhaaren auch gut aussieht, bei Jan eine Chance haben, dann erst recht nicht ich. Von Perfektion bin ich mindestens doppelt so weit entfernt wie die Erde von der Sonne.
Trotzdem liege ich heute Abend im Bett und stelle mir vor, wie sich Jan über mich beugt, mir zärtlich meine Wunde an der Stirn abtupft, mich tröstend in seinen Armen hält, meine Hand in seine nimmt und dann die ganze Nacht an meinem Bett sitzt. Warum können Träume nicht ein Mal wahr werden?
2. Kapitel
A ls ich das nächste Mal aufwache, sehe ich schon wieder in blaue Augen. Diesmal sind es aber nicht die von Jan, sondern die meines fünf Jahre älteren Bruders Joachim.
»Aufstehen, Trantüte, heute gibt’s die große Abrechnung.«
Mein Bruder meint die Halbjahreszeugnisse, die es bei uns immer am letzten Januartag gibt.
Ich schmiere mir in der Küche vergnügt mein Brötchen mit Apfelgelee, weil Halbjahreszeugnis-Ausgabetage zu meinen Lieblingsschultagen gehören. Denn außer der Zeugnisübergabe passiert nicht viel und bei meinen Leistungen habe ich auch keinen Rüffel eines Lehrers zu befürchten wie »Jetzt heißt es aber anstrengen und fleißig sein, sonst wird es nichts mit der Versetzung« oder sonst was Blödes.
Zum Glück habe ich insgesamt noch sechs solcher Halbjahreszeugnis-Ausgabetage vor mir. Mein Bruder muss dagegen schon fürs Abi in zwei Monaten lernen, dann kommt sein Bundesfreiwilligendienst und dann das Studium. Ganz schön anstrengend. Schule ist dagegen total locker. Man tut ein bisschen was und sieht dafür den halben Tag lang seine Freunde. Daheim sehe ich nur einen langweiligen Bruder,
der vorm Computer sitzt, eine Mutter, die abends gestresst aus ihrem Reisebüro kommt, und einen Vater, der nicht so gestresst, aber dafür noch später heimkommt. Mein Zuhause passt echt in die Reihe »Öde Orte«. Wahrscheinlich sieht das sogar meine Mutter so und hat deshalb ein Reisebüro. Damit sie öfter in weniger öde Orte verreisen kann.
Mein Vater bietet mir jetzt zur Belohnung zehn Euro für jede Eins im Zeugnis an.
»Dann möchte ich aber auch zehn Euro für alle meine 13 bis 15 Punkte«, beschwert sich mein Bruder.
»Du weißt genau, dass Katja überhaupt keine Einser haben wird«, macht ihm meine Mutter überflüssigerweise klar, und mein Vater grinst dazu, denn er weiß es natürlich auch. Mein genialer Gegenvorschlag, »Lieber fünf Euro für jede Zwei als zehn für ’ne Eins«, der mir locker vierzig Euro bringen würde, lehnt er komischerweise ab. So wird das echt nichts mit der Bassgitarre, die ich mir so sehr wünsche.
Mein Vater ist froh darüber: »Das laute Gitarrengewummer verursacht nur Hörschäden. Sei froh, wenn ich dir das erspare!«
Warum arbeitet mein Vater nicht bei der Bahn oder der Bank, sondern ausgerechnet in einer Firma für Hörgeräte?
»Möchte nur wissen, wo du deinen eigenen Hörschaden herhast«, sagt meine Mutter jetzt spitz zu meinem Vater. Der guckt irritiert, aber mein Bruder und ich nicken uns nur zu. Wir wissen, was jetzt kommt. Meine Mutter wollte nämlich mal wieder mit meinem Vater Klamotten kaufen gehen am Wochenende. Oder besser gesagt für meinen Vater Klamotten kaufen. Aber beim Wort »Einkauf« kriegt mein Vater
quasi immer so was wie einen Hörsturz und ist plötzlich total taub. Ich verstehe das nicht. Ich wäre froh, wenn meine Mutter mal mit mir Klamotten einkaufen gehen würde. Aber da ist umgekehrt immer sie taub, wenn ich sie drauf anspreche. Bevor jetzt jedenfalls die Diskussionen losgehen, ob mein Vater vielleicht außer einem blauen, einem blau-weiß karierten, einem blau-schwarz karierten und einem blau-grau karierten auch noch ein hellblau-dunkelblau kariertes Hemd gebrauchen könnte, verziehen mein Bruder und ich uns lieber schon in die Schule.
Ich habe drei Dreier: in Kunst, Sozialkunde und Biologie, der Rest Zweier. Auch bei Marie, Siri und Patricia wird die Versetzung im Sommer glattgehen, wenn nicht noch was Dramatisches schiefgeht.
Zur Belohnung gönnen wir uns deshalb eine heiße Schokolade mit frisch geschlagener Sahne und ganz vielen Schokostreuseln im »Alibi«, dem coolen Café in unserem Städtchen.
Okay, dem einzigen Café in unserem Städtchen für Leute unter dreißig. Mein Bruder ist zum Glück nicht da, der sitzt bestimmt schon wieder am Computer oder über seinen Büchern. Der
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