Nachhilfe in Erster Liebe
er stimmt auf jeden Fall. Ich komme runter. Allerdings habe ich von meiner ach so entspannenden Yogaübung ein halb und ein ganz eingeschlafenes Bein, die deshalb wie Prothesen an mir rumbaumeln. Ich knicke damit weg, torkle o-beinig und muss mich am Treppengeländer festhalten, um überhaupt bis nach unten zu kommen, wo mich Joachim und Jan wie zu siamesischen Zwillingen erstarrt anstaunen. Dabei staunt man doch eigentlich immer siamesische Zwillinge an und nicht umgekehrt?
Cool bleiben, Katja, geh einfach zwischen ihnen durch ins Wohnzimmer, wo Jans Mathebuch ja irgendwo sein muss, denke ich, sage dabei »hi«, gehe weiter und verliere schlagartig außer meiner Coolness natürlich auch den Halt mit meinen total unkontrollierbaren Beinen, weil das Treppengeländer zum Halten nicht mehr da ist, und liege eine Sekunde später in den Armen …
… meines Bruders, Mist! Hätte mich nicht wenigstens Jan auffangen können? Aber der starrt bloß und tut gar nichts. Immerhin sagt er aber auch nichts Blödes, so wie jetzt Joachim.
»Ist das ’ne neue Art von Komasaufen, Drogendancing oder sonst wieder ’n Scheiß, Katja?«
»Ich hab nichts genommen.«
Joachim schnuppert an meinem Mund herum.
»Nach Alk riechst du jedenfalls nicht.«
»Sag ich doch.«
»Vielleicht Experimente mit Ecstasy? Falsche Pille und so.«
Mein Bruder nervt mich total. »Ich war bloß verklemmt, okay?«, schnauze ich ihn an und merke mal wieder zu spät, was ich da von mir gegeben habe. Joachim lacht natürlich schon fies. »Das nenne ich mal Selbsterkenntnis.«
Ich reiße mich wütend von ihm los und habe immerhin wieder so viel Gefühl in meinen Beinen, dass ich ohne Hilfe irgendwie bis zum Wohnzimmertisch humple, wo das blöde Mathebuch ja rumliegen muss.
»Viel Spaß noch, Klemmi«, grinst mein Bruder, bevor er sich endlich in sein Zimmer verzieht.
Am liebsten würde ich heulen, aber noch mehr Blöße kann ich mir vor Jan echt nicht geben. Also suche ich mit zusammengebissenen Zähnen unsere Zeitungs- und Zeitschriftenstapel auf dem Tisch durch, ob das Mathebuch nicht darunter ist.
»Ich hab dich wegen dem Buch auf dem Handy angerufen, aber du bist nicht dran«, erklärt Jan.
Haha, wie auch. Aber vom »Käfer Katja macht Knotenkunst«-Versuch erzähle ich ihm bestimmt nichts. Und bin auf einmal total erleichtert, dass sich mein Handy vorhin quasi selbst aufgelöst hat. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre um Hilfe flehend drangegangen und dann wäre es ausgerechnet Jan gewesen! Was hätte ich ihm sagen sollen? »Ich war noch so aufgeregt von der Stunde mit dir, weil ich dich nämlich sooo toll finde, und da hab ich gedacht, ich muss lockerer werden und mach mal Yoga. Aber jetzt hab ich mich dabei so verklemmt, dass du kommen und mich befreien musst.«
Den Retter, der das hübsche Mädchen befreit und mit ihr glücklich bis ans Ende ihrer Tage lebt, gibt’s leider nicht in
echt. Vielmehr, den Retter gibt’s schon, aber eben nicht das hübsche Mädchen. Zumindest nicht hier. Und damit ist die Geschichte auch schon zum Scheitern verurteilt.
Gescheitert ist bisher auch die Suche nach Jans Mathebuch. Auf dem ganzen Tisch nichts davon zu finden.
»Vielleicht hast du’s ja woanders liegen lassen«, vermute ich und sehe schon, wie Jan mich böse funkelt. »Meinst du, ich mache zwei Mal irgendwo Mathenachhilfe?«
Also, im Fettnapfyoga bin ich auf jeden Fall spitze!
»Wenn ich’s noch finde, bring ich’s dir morgen in die Schule mit.«
»Damit auch alle gleich Bescheid wissen über die Nachhilfe? «
Sag ich doch. Fettnapfyoga!
Ich suche jetzt lieber schweigend weiter, damit nicht noch mehr schiefgeht, falls das überhaupt möglich ist, und finde am Ende immerhin wirklich Jans Mathebuch. Es lag auf einem Stuhl, der unter den Tisch geschoben war. Deshalb hatten wir’s nicht gesehen. »Danke«, sagt Jan, nimmt das Mathebuch an sich und schenkt mir dabei ein Lächeln, bei dem ich sofort wieder das Gefühl habe, kein Gefühl mehr in meinen Beinen zu haben, so wie vorhin, aber diesmal aus Gründen, die viel schöner sind als Yogaübungen.
Yoga werde ich übrigens nie wieder probieren. Waveboard fahren auch nicht. Fußball schon gar nicht. Wenn das so weitergeht, bleibt kaum noch ein Sport für mich übrig.
Doch: Denksport! Am Abend nämlich, als ich im Bett liege, denke ich nach. Das kann ich dort erstaunlicherweise viel
besser als in der Schule, wo man doch eigentlich immer denken können soll. Aber ich finde, man sollte die Schule
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