Nachhinein
Kein noch so stachliger Fraßschutz kann uns abhalten. Lediglich die von Schmetterlingsraupen bekrabbelten oder wurmzerfressenen Exemplare werden verschont.
Ich glaube, es war an einem jener anstrengenden Erntetage kurz vor deinem Geburtstag. Vielleicht war’s ein Feiertag, vielleicht nur Wochenende.
Die Sonne tauchte hinter der Spielstraße ins Wäldchen. Es folgten Abendrot und Abendbrot und noch lange kein Abschied.
Ich muss schon geschlafen haben, als es von oben knarzte und deine Füße auf der Bettleiter erschienen. Im Zimmer war’s sommerlich dämmrig. Trotzdem hätte ich geschlossene, hinter dichten, schützenden Lidern verborgene Augen den offenen, allen schauerlich-bizarren Schattenformen hilflos ausgelieferten, vorgezogen …
Jetzt ist es zu spät. Der von der Mutter beim Zubettgehen empfangene Segen, der mich vor den Gefahren der Nacht bewahrt, ist verflogen.
Aufwachen bedeutet sich ausliefern.
Durch dein Geknarze wird mir das Wachsein aufgezwungen, und ich werde verzweifelt und wütend zugleich. Einige kurze, unentschiedene Augenblicke lang wiege ich meine Optionen ab: Liegenbleiben? Allein, inmitten der Schattenarmee? Oder doch lieber aufstehen, dir nachfolgen und Rücken an Rücken gegen das Dunkel kämpfen?
Noch bevor deine Hand die Türklinke umfassen kann, stehe ich neben dir.
»Was ist?«, frage ich die schwarze, mit weiß leuchtenden Flecken besprenkelte Fläche, die dein Gesicht sein muss.
Keine Antwort.
Gemeinsam huschen wir ins Bad. Auf ein leises Klick meiner Hand hin, springt uns das Gelb der Fliesen an. Um überhaupt irgendetwas sehen zu können, fixiere ich das braune, von beigefarbenen Fugen durchschnittene Blumenmuster. Es dauert eine ganze Weile, bis meine Pupillen zusammenschrumpfen und Blendwerk zu Steingut wird.
Neugierig lasse ich meinen frisch adaptierten und inzwischen vollkommen wachen Blick deine nackten Beine entlanggleiten. Aus der Faust, die neben dem Saum deines Nachthemds baumelt, ragt ein Stück zerknüllte Unterhose.
»Was – «
Der erste Tropfen schneidet mir das Wort ab. Zwischen deine Füße platschen hellrote Tropfen.
Als hätte dein Körper die fruchtige Vortagshitze in kleine, innerliche Wölkchen verwandelt, regnet es auf die Keramik.
Erst mit dem nächsten Blinzeln begreife ich, dass das Blut ist. Wichtigtuerisches Blut. Damit scheinst du immer wieder auftrumpfen zu müssen …
Dann ragt auch schon die Gestalt meiner müden Mutter hinter mir auf. Dein Tröpfeln muss sie aus dem Schlaf gerissen haben. Ohne große Worte zu machen, holt sie eine dicke Binde aus der Frauenschublade unter dem Waschbecken. Das Geräusch, mit dem sie den Schutzstreifen abzieht, lässt mich an mein verschollenes Stickeralbum denken.
Nachdem der durchscheinende Streifen mit lautem Geknister im Müll verschwunden ist, verklebt Mutter die Binde mit dem Stoff deiner Unterhose. Interessiert beobachte ich dich beim Einstieg in die Beinlöcher. Hastige Hände ziehen die frisch ausgepolsterte Baumwollunterbekleidung mit den rosa Streifen Richtung Bauchnabel. Die Fliesenblumen warten indes vergebens – es hat sich ausgetropft.
Angeekelt und fasziniert zugleich stelle ich mir vor, wie du die daumendicke, butterweiße Schicht mit Marmeladenröte besudelst.
Wir werden zurück ins Bett geschickt.
Aber das Einschlafen will mir nicht recht gelingen … Die Zusammenhänge zwischen der Frauenschublade, den Früchten, deinen blutroten Nagelhäuten und Schnakenstichen und, nicht zuletzt, dem längst verjährten Schädelbruch, dem blutigsten aller Unfälle, halten mich wach.
Kann es sein, dass sich das Beinaheentzweigehen deines Kopfes noch heute auswirkt? Befürchtet dein Körper erneute Brüche? Will er weiterem Unheil zuvorkommen und schnellstens Frau werden, bevor – ?
Ich habe die Verschwörerblicke, die Mutter und du getauscht haben, genau gesehen. Auf windelartigen Auslaufschutz angewiesen zu sein, scheint Nähe zu schaffen, und lässt offenbar zu, dass Frauen unterschiedlichsten Alters und Herkunft sich auf Augenhöhe begegnen. Hinter jeder Waschraum- und Toilettentür, deren Piktogramm ein A-linienförmiges, knielanges Kleid trägt, trifft sich eine verständnisvoll dreinblickende Schwesternschaft, eine Gemeinschaft, die nickt und seufzt und wattiges Material austauscht. Ich beobachte das schon länger.
Hätten wir uns das unangenehme Ritzritual ersparen können? Es scheint, als verschwistere jenes gemeinsame Tropfen weitaus zuverlässiger – vorausgesetzt, man
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