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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Krieg ja nicht nur über die Fakten geschwiegen. Sondern es gab Merkwürdigkeiten in den Familien, und wenn Kinder sie ansprachen, kam keine Resonanz. Häufig hatten die Ungereimtheiten mit Verlusten und blockierter Trauer zu tun. Zum Beispiel hing im Schlafzimmer meiner Eltern das Foto des Bruders meiner Mutter, der als Soldat im Russlandfeldzug gefallen war. Meine Mutter, 1918 geboren, war eine begeisterte Nationalsozialistin gewesen, nicht nur auf Grund der NS-Propaganda, sondern auch, weil ihre Eltern und eben auch dieser Bruder Anhänger des Hitlerregimes waren. Darüber hat sie zum Glück ein paar Jahre vor ihrem ebenfalls frühen Tod gesprochen. Da kam |271| etwas auf an persönlicher Resonanz zwischen uns zum Thema Nationalsozialismus. Ich rechne es ihr hoch an, dass sie von sich aus über ihre Begeisterung für den »Gröfaz« sprach, den »größten Führer aller Zeiten«, wie es damals hieß. Doch um auf jenes Bild zurückzukommen, das hat all die Jahre sozusagen abgeschnitten von aller Sprache, abgeschnitten von Resonanz an der Wand gehangen.
     
    Sie meinen, wenn es keine Resonanz gibt, dann kann man zum Beispiel seine Trauer nicht ausdrücken, dann kann man sich nur solche sprachlosen Nischen schaffen?
    Ja. Wo war das Trauern über den Bruder? Er war erheblich älter als meine Mutter, er war für sie sehr wichtig gewesen, er hatte ihr Orientierung gegeben. Aber in unserer Familie spielte er keine Rolle mehr. Sie hat kaum über ihn erzählt. Irgendwie hat ihr »das alles« wohl die Sprache verschlagen.
     
    Dass Gefühle vererbt werden, dass Ängste an die nächste Generation weitergegeben werden können, ist bekannt. Woher sonst hätte ich als Nachkriegsgeborene das tiefe Unbehagen, wenn ich Sirenen höre? Aber werden auch Bilder, Erinnerungsbilder, weitergegeben? Diese Alpträume vom Krieg und vom Schnee, von denen ich gelegentlich höre, können das Erinnerungen gewesen sein, die der Vater oder die Mutter im Kopf hatten? Halten Sie das für möglich?
    Ja, denn wir haben als Kinder sehr feine Antennen. Entsprechende Erfahrungen habe ich auch in ganz anderen Zusammenhängen gemacht. Ich habe viel in Kinderkrippen zu tun. Da konnte ich immer wieder erfahren, wie ganz kleine Kinder etwas ausdrücken, was die Eltern gerade an existentiell bedrohlichen Dingen erlebt haben, zum Beispiel im Krieg in Ex-Jugoslawien. Also: Ein Kind ist völlig verwirrt, wir sprechen die Eltern an, und dann stellen sich oft derartige Zusammenhänge heraus. Wir Menschen kriegen soviel mit, auch als Erwachsene noch: Plötzlich habe ich eine andere Stimmung, ich bin etwas verdreht und denke, was ist |272| denn mit mir los – aber vielleicht bin ja gar nicht ich verdreht, sondern mein Gegenüber.
     
    Sie meinen die Ansteckung? Ich werde plötzlich am Steuer müde und stelle fest, dass mein Beifahrer kaum noch die Augen offen halten kann.
    Das meine ich. Es kann aber auch an dem Menschen neben mir in der U-Bahn liegen, den ich überhaupt nicht kenne.
     
    Manche Väter wurden mir beschrieben wie Schatten. Sie waren nicht zu greifen. Und dann gab es Väter, die bestanden nur aus Kanten. Da hielt man als Kind besser Abstand. Mit welchem Vater ist es leichter zu leben?
    Das ist die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die wichtige Aufgabe von Vätern ist, Orientierung zu geben, Orientierung über die Welt. Und wenn ich selber über mich nachdenke, habe ich innerhalb meiner Familie solche Orientierung nicht von meinem Vater bekommen, zu dem ich jedoch ein sehr herzliches Verhältnis hatte, ein sehr liebevolles Verhältnis. Doch gleichzeitig war da eine Distanz. Einerseits bin ich in einer recht behüteten Familie und Situation aufgewachsen, keine Flucht, keine Zerstörung durch Bomben, der Vater kein Soldat, kein Nazi-Täter. Und doch stellt sich die Frage: Woher kam diese Distanz? Ist das seine persönliche Art gewesen, oder war es – zu wie viel Prozent – zeitgeschichtlich bedingt? Hat er einfach irgendwo dicht gemacht, weil alles zu viel gewesen ist? Ich meine, das ganze NS-Reich, das war alles zu viel für ihn, und dann der große Umschwung, der danach kam. Mein Vater war jemand, der eher unpolitisch war. Aber er war in der Partei, soviel ist klar. Insgesamt kann ich ihn da nicht wirklich greifen.
     
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Haben Sie von anderen Familienmitgliedern Orientierung erhalten?
    Ja, von meinem Großvater väterlicherseits. Einmal habe ich ihn gefragt: »Sag mal, Opa, was ist eigentlich die beste Staatsform?« – für einen

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