Nachkriegskinder
habe ich vor ein paar Jahren einen Vortrag zur transgenerationen Übermittlung von »Täterhaftigkeit« gehalten. Das stieß auf eine völlig gespaltene Resonanz: Begeisterung auf der einen Seite, naserümpfende Ablehnung auf der anderen. So ist es bis heute: Manche Menschen atmen erleichtert auf, wenn über solche Identifikationen und Kontinuitäten endlich gesprochen werden kann, die Mehrheit aber weist es mit Händen und Füßen von sich weg.
Erkennen Sie bei uns Nachkommen noch andere Einstellungen, die der NS-Vergangenheit entstammen?
Ja, vor allem beim Thema Schuld. Man muss daran erinnern: Die Täter aus der NS-Zeit stellten sich nachher als Opfer dar. Es gab also in den Familien nur Opfer, keine Täter. Das hat Auswirkungen auf unser Erleben und Verhalten bis heute. Es fällt Menschen außerordentlich schwer zuzugeben, ja, da habe ich etwas falsch gemacht. Das sehe ich in meiner ganz normalen Familienarbeit. Das kann ich selbst in der sehr tragenden Beziehung mit meiner Frau feststellen. Was strampeln wir uns manchmal ab, um nachzuweisen, dass doch der andere die »Schuld« hat. Also, ich glaube, in diesen Verhaltensweisen spielt der NS-Hintergrund eine große Rolle. Da ist so eine Wahnsinnsschuld begangen worden, mit der man ja gar nicht fertig werden kann, und das hat Auswirkungen, meine ich, bis in harmlose Auseinandersetzungen in der Ehe, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Arbeitskollegen. Es fällt so unendlich schwer zuzugeben: Ich habe jetzt etwas falsch gemacht, oder, ich habe Schuld auf mich geladen. Schuld darf einfach nicht sein, weil dann sofort die schlimmste aller Schuld angenommen wird, die man nicht mehr los wird …
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Immer »worst case«. Das ist ein Reflex. Opa kann nicht einfach nur ein Nazi gewesen sein. Wenn, dann muss er ein schlimmer Nazi gewesen sein.
In der Übertreibung liegt eben auch oft ein Wegsehen, denn mit dieser Fantasie gelingt es zu übersehen, dass z. B. der Vater als Wehrmachtsangehöriger ein Rädchen, ein Teil der Schreckensgeschichte war. Mein eigener Vater gehörte auch dazu. Er hat in einem kriegswichtigen Betrieb zwar keine Panzer hergestellt, aber Material für die Rüstungsproduktion. Übertreiben und wegsehen zeigt sich überall. In der Familienarbeit tauchen oft Mütter auf, die sich an allen Fehlentwicklungen ihrer Kinder Schuld geben – eine übergroße, unrealistische, damit aber auch nicht Veränderung ermöglichende »Schuld«. Dabei ginge es darum, zu unterscheiden, was ist Schuld und was ist einfach nur ein Fehler. Und was ist ein Fehler, der sich erst im Nachhinein als solcher herausstellt, weil man erst dann einen Überblick hat über alle Faktoren im Geschehen – also zum ursprünglichen Zeitpunkt nicht einmal ein Fehler.
Unsere Jahrgänge sind überwiegend mit Menschen aufgewachsen, die auf Grund ihrer Traumatisierungen nur schwarzweiß denken konnten: Entweder-Oder, Alles oder Nichts. Heute fällt mir auf: Entweder, jemand ist schuldig, und zwar extrem schuldig – oder Schuld wird sofort entschuldigt, es wird gesagt: Der Mann/die Frau war ja selbst Opfer … Gehört es nicht auch zur Würde des Menschen, eigene Schuld zu erkennen und Verantwortung dafür zu übernehmen? Seit einigen Jahren frage ich jeden Therapeuten, den ich kennen lerne, ob das Thema Schuld in den Behandlungen eine Rolle spielt. Nein, sagen die Meisten, es gibt keine Schuld, es gibt nur falsche Schuldgefühle.
Das Thema Schuld wird beiseite geschoben. Es ist bei uns äußerst belastet durch den NS-Hintergrund. Mit dem Thema habe ich Überraschungen erlebt – da war ich oft perplex. In einer Kirchengemeinde zum Beispiel gab es eine Veranstaltung mit der Frage: |268| »Warum müssen wir immer wieder für die Schuld(en) unserer Väter zahlen?« Da kam dann zum Ende einer schwierigen Diskussion auch noch die Frage. »Ja, wie finden Sie denn das, wenn mich ein junger Israeli angreift, weil mein Vater bei der Wehrmacht war?« Die Versammlung nickte bedeutungsschwer, ich fühlte mich äußerst unbehaglich – doch zum Glück fiel mir schließlich als Gegenfrage ein: »Hat es diesen jungen Israeli schon gegeben?« – »Nein! Aber es könnte doch sein!« Da wurde mir deutlich, was sich in dem Fragesteller abspielte: Er wehrte mit der fantasierten Figur des »rachsüchtigen Juden« jeden Bezug zur wie auch immer gearteten realen Schuldbeteiligung seines Vaters radikal ab. Das Thema Schuld anzusprechen ist eben eine ganz heikle Sache. Hier haben in der
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