Nachkriegskinder
Nachkriegszeit auch die Kirchen keine Orientierung gegeben.
Also entweder die große Schuld oder unschuldig. Was halten Sie in diesem Zusammengang von dem Satz, den ich nun so oft gehört habe: »Mein Vater hat gesagt, er hätte als Soldat niemanden erschossen«?
Den Einzelfall wird es gegeben haben. Wenn dieser Satz häufig vorkommt, kann er, auf die Statistik des Krieges bezogen, nicht stimmen. Es wird eben viel verleugnet und verdrängt. Aber es war auch derjenige am Krieg beteiligt, der nicht geschossen hat, und das war auch der Beamte der Reichsbahn. Wichtig war mir in diesem Zusammenhang ein Traum, den ich vor vielen Jahren hatte: Da habe ich jemanden in einem Kriegszusammenhang erschossen. Bereits im Traum habe ich gedacht: So ist das – jetzt bist du jemand ganz anderes. Du bist ein Mörder! Das war ein sehr aufwühlender und ein sehr wichtiger Traum für mich, um mich hineinversetzen zu können, wie ist das, wenn Menschen getötet haben, was macht das dann mit ihnen, was machen sie damit.
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Was glauben Sie, wie lange Soldaten denken, sie sind Mörder? Ist das nicht nur am Anfang so? Setzt da nicht die Gewöhnung ein?
Ja, natürlich, aber was ich in dem Traum erlebte, geschah auf der tieferen Wahrnehmungsebene: Ich bin ein Mörder. Im Alltag wird das dann verharmlost, verdrängt, beiseite geschoben. Aber ich vermute, diese tiefe Wahrnehmung »Ich bin ein Mörder«, ist in dem Menschen dann drin, die wird man nicht mehr los.
Ich sah kürzlich im Fernsehen einen Film über die Kriegsverbrechen der Japaner in Nanking, China, 1937. Diese Taten sind im heutigen Japan offenbar nicht geächtet, sondern gelten als normale Kriegsgeschehnisse. Die alten Veteranen berichteten so frei und detailliert darüber, wie wir es in Deutschland nie gehört haben. Kann es sein, dass auch unsere Väter nichts verdrängt haben, dass sie die Taten und Schrecken in sich trugen und erinnerten?
Auf der allgemeinen Ebene lässt sich relativ leicht antworten: Die individuelle Erinnerung hängt viel stärker, als wir meinen, vom kollektiven Gedächtnis ab. Erinnert wird, was opportun ist. Doch wie es konkret bei den einzelnen Menschen war, da tue ich mich jetzt schwer, etwas Eindeutiges zu äußern. Sie haben ja darüber nicht gesprochen. Einerseits stimmt es: Das Wissen ist in den Menschen drin gewesen. Aber ich will den Mund als psychologischer Fachmann nicht zu voll nehmen. Wir sind hier im Nebel. Was wussten sie, was haben sie beiseite geschoben, verdrängt oder – wie immer man das jetzt nennen will – verleugnet, dissoziiert? Und was ist ein freundliches Umgehen mit uns Nachkommen gewesen, um uns zu schonen, und was war in Wirklichkeit ein Sich-selbst-schonen? Wenn Eltern sich so verhalten, sind sie für ihre Kinder nicht zu greifen. Ein Kind ist aber auf die Orientierung durch seine Eltern angewiesen. Es will wissen: Was ist Recht und was ist Unrecht – wo auch erst mal Schwarzweiß seinen Platz hat. Das kleine Kind will wissen, was ist gut und was ist böse. Wenn aber die Eltern in ihrem Wertesystem zutiefst korrumpiert sind, dann stimmt diese Orientierung nicht.
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Genau das habe ich mich gefragt, als ich kürzlich noch einmal den Film »Menschliches Versagen« von Michael Verhoeven sah. Er zeigt, wie günstig in der NS-Zeit Möbel, Küchengeschirr, Bilder etc. erworben werden konnten – der Besitz von Juden, die deportiert worden waren. Überall kam es zu öffentlichen Versteigerungen; in den Zeitungen stand ausdrücklich, es handele sich um »nichtarischen Besitz«. Jeder wusste Bescheid. Ganz normale Bürger gingen auf Schnäppchenjagd … Wie sollten sie später ihren Kindern erklären, was Recht und was Unrecht ist?
Darum geht es eben so zentral. Das Kind spürt, hier stimmt etwas nicht, kann aber nicht einmal benennen, das etwas nicht stimmt, das ist das Unheimliche daran, daran können Menschen psychisch erkranken, vor allem an Depressionen – und das ist häufig gerade in dieser Generation der Nachgeborenen geschehen. Ich meine, dass wir alle – der eine mehr, die andere weniger – richtige Ansätze von Wahrnehmung hatten. Und jetzt kam es darauf an: Konnte man gelegentlich mit jemand darüber sprechen und wurde man damit verstanden? Das war natürlich sehr individuell – das konnte aber unter Umständen entscheidend werden für den ganzen weiteren Lebensverlauf.
Sie sprechen häufig davon, wie wichtig Resonanz ist in Beziehungen. Können Sie das erläutern?
Es wurde nach dem
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