Nachrichten an Paul
wunderbarer Künstler und diese Skulptur ein echtes Meisterstück. Ich erzähle Clara von den Farben in der indianischen Kunst, Kunst in Primärfarben und prägnanten Formen. Ich beschreibe ihr bemalte Paddel und geflochtene Körbe. Ich schwärme von den Starbuck Cafés in der ganzen Stadt und von meiner Lieblingsbuchhandlung Chapters Downtown, mit der schrägen Fassade und Büchern auf drei Stockwerken. Ich erzähle ihr von dem neuen Bewusstsein, das man spürt, von Leuten, die lokale Produkte kaufen und Bio essen. Ich erzähle ihr von meiner Fahrt mit dem Wassertaxi und von Granville Island. Granville Island würde Clara auch gefallen. So viele Ateliers und Künstler. Ich erzähle ihr von dem Laden, wo man Perlen in allen Formen und Farben kaufen kann. Und von der Markthalle, wo es unglaublich gut riecht und wo Obst und Gemüse wie Stillleben arrangiert werden. Von dem Blick aufs Wasser, wenn man draußen isst. Und wie die Möwe mir ein Stück von meinem Sandwich im Flug aus der Hand gestohlen hat. Auf dem Weg zum Mund. Und dass ich auf einem Deutschentreff war.
„Und?“, fragt Clara.
„Was und?“, frage ich zurück.
„Was macht das neue Leben?“, fragt Clara.
Na, Clara hat gut reden, sie mit ihrem verheirateten Mann, der nie seine Frau verlassen wird, und das, obwohl Clara extra für ihn hier nach Viseu gezogen ist. Weil er gesagt hat, dass er sie verlassen wird. Und dann war Clara da und er hat es nicht getan. Jetzt sagt er es nicht mal mehr. Und Clara bleibt trotzdem hier. Und alles, was sie bekommt, ist vielleicht ein- oder zweimal im Monat ein Essen in einem abgelegenen Restaurant irgendwo. Und vielleicht eine Schulter zum Anlehnen, ab und zu für eine Nacht.
„Was macht denn dein neues Leben?“, frage ich zurück, weil Angriff ist ja oft die beste Verteidigung.
Clara seufzt. Clara nimmt ihren Hut ab und streicht sich durch die Haare. Clara hat lange Haare, wunderschöne lange Haare, aber sie trägt sie meistens hochgesteckt. Sie streicht sich nochmal durch die Haare und setzt den Hut wieder auf. Wir blicken beide auf die Serra de Estrela und die schneebedeckten Gipfel. Jetzt kommt die Sonne durch und taucht die ganze Serra in ein ganz besonderes Licht. Man kann die einzelnen Städte am Fuß der Serra erkennen. Seia und Gouveia. Und ein paar weitere kleine Orte.
„Ich liebe ihn eben“, sagt Clara. „Ich kann einfach nichts dagegen tun.“
Und da erzähle ich ihr von Paul. Ich meine, es ist ja zu Ende mit Paul. Das heißt, es ist nicht zu Ende im Sinne von zu Ende, denn da war ja nichts mit Paul, nicht wirklich und wie kann etwas zu Ende sein, das gar nicht existiert hat, nicht wahr. Und so erzähle ich ihr, was nicht war. Und wie sehr ich mir wünsche, dass da was gewesen wäre.
„ Cuando el amor no es locura, no es amo r” sagt Clara. “Wenn die Liebe keine Verrücktheit ist, dann ist es keine Liebe. Calderón de la Barca.”
Jetzt seufzen wir beide. Ja, in der Tat, ich fühle mich besser, und geteiltes Leid ist ja halbes Leid. Und geteilte Freude ist doppelte Freude, aber da ist im Moment wenig Freude zu teilen. Wir holen uns noch einen Galão und noch eins von diesen köstlichen Pastéis de Nata . Natürlich jede eins. Kalorien hin oder her.
„Ich habe mir letzte Woche noch mal ein paar Filme von Nancy Meyers angesehen“, sagt Clara jetzt, das läuft bei ihr unter Fortbildung, sie muss einfach wissen, was heutzutage so an Zuckerguss läuft, weil sie ja selber Zuckerguss produziert. Deswegen reicht sie Jahr für Jahr Kinokarten in ihrer Steuererklärung ein und das Finanzamt lehnt es Jahr für Jahr ab. „Zum Beispiel dieser Film mit Jack Nicholson, der alte Playboy mit den jungen Häschen, und dazu Diane Keaton, die beiden als kompliziertes Paar, du weißt schon, oder dieser andere, wo die Frau eine Affäre mit ihrem Ex-Mann hat, Jahre nach der Scheidung. Und weißt du, was mir aufgefallen ist?“
Ich schüttel den Kopf. Es ist eine rhetorische Frage und Clara möchte sie sowieso selber beantworten.
„Für Frauen über fünfzig ist Sex anscheinend die totale Ausnahme.“
„Meinst du?“, sage ich.
„Ja klar“, sagt Clara. „Sieh dir ihre Filme an. Wirste sehen. Die totale Ausnahme.“
Ich sehe weiter auf die Serra de Estrela. Dort hängen jetzt dunkle Wolken, und die Sonne ist fast weg.
„Sieh doch mich an“, sagt Clara. „Oder dich.“
Tja, wo sie recht hat, hat sie recht.
„Meinst du, ich werde jetzt die nächsten dreißig Jahre alleine bleiben?“, frage
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