Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
Geschwindigkeit einer Strömung schließen. Solches Wissen wurde lange im Geheimen kultiviert, stellte es doch einen kostbaren Schatz und strategischen Vorteil dar. Die Strömungen zu kennen hieß, den Meeren nicht auf gut Glück ausgesetzt zu sein, sondern ihre Dynamik aktiv nutzen zu können. Erst 1853 entschied man, Daten länderübergreifend auszutauschen und in hydrographischen Stationen zu archivieren, sodass sie allen seefahrenden Nationen zugänglich wurden. Binnen kurzem entstanden detaillierte Karten über Strömungsverläufe, mit denen selbst Amateure etwas anzufangen wussten. Der Seefahrt leistete das enormen Vorschub. Dennoch verdankt sie ihre Sternstunden der Zeit vor dem allgemeinen Durchblick. Wäre der portugiesische Seefahrer Pedro Alvarez Cabral im April des Jahres 1500 nicht vom Äquatorialstrom abgetrieben worden, als er Indien ansteuerte, hätte er Brasilien nicht entdeckt. Und was gibt es Schöneres für freundliche Ureinwohner, als von Menschen mit Helmen und Hellebarden entdeckt zu werden!
    Heute hilft uns die dezidierte Kenntnis der Strömungsverhältnisse, Voraussagen zu treffen, etwa wohin Ölteppiche treiben. Und mehr als das: Wer Klein-Fritz mit Blick auf den nicht leer gegessenen Teller weismachen will, er trüge Schuld am schlechten Wetter, wird dem kundigen Knaben nur ein müdes Lächeln entlocken. Fritz lernt nämlich in der Schule, dass Herr Kachelmann ohne Strömungsdaten schwer im Regen stünde. Das Meer speichert und transportiert atmosphärische Wärme. In den Tropen futtert es sich die komfortablen Temperaturen an, um sie an Europa wieder abzugeben. Den Golfstrom nennt man darum auch die Fernheizung Europas. Während er Franzosen, Spaniern und Deutschen gestattet, ihr Bier an lauen Abenden im Freien zu trinken, begünstigen kalte Meeresströmungen die Bildung von Wüsten: die Namib in Südwestafrika oder die Atacama im Norden Chiles geben dafür staubige Beispiele ab. In Chile ist es der Humboldtstrom, in Afrika der Benguelastrom, der karge Verhältnisse schafft, indem er die gemeinhin warmen Passatwinde dicht über der Erdoberfläche abkühlt. Mit Blick auf Besonderheiten von Hoch- und Tiefdruckgebieten wird klar, dass zwischen den warmen und kalten Luftmassen der Passate kein Austausch stattfinden kann, weil die schwere, feuchtkalte Schicht unten liegt. Sie kann nicht aufsteigen und kondensiert nicht in der Atmosphäre. Ergo bildet sie keine Wolken, es kann nicht regnen, und — zack! — haben wir eine Wüste voll Rheuma fördernden Nebels.
    Über die Zeit sind die Strömungen ihr eigener Motor geworden, ganz nah dran am Perpetuum mobile. Doch was verhindert eigentlich, dass sich irgendwann alle Kräfte ausgleichen und das System zum Stillstand kommt? Sicher, einerseits hilft der Wind, der den Zug voll springender Passagiere sozusagen anbläst. Doch was, wenn auch der Wind erlahmt?
    Hier kommt die Corioliskraft ins Spiel.
    In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts machte der französische Physiker, Mathematiker und Ingenieur Gaspard Gustave de Coriolis eine verblüffende Entdeckung: Jedes bewegliche Teilchen im Erdenrund tendierte auf der nördlichen Halbkugel zur rechten und auf der südlichen Halbkugel zur linken Seite. Coriolis fragte sich, was diese Ablenkung bewirkte. Aufbauend auf den Newton’schen Trägheitsgesetzen fand er die Antwort schließlich im größten Kreisel des Planeten — nämlich im Planeten selbst.
    Um die Corioliskraft zu verstehen, muss man sich bildlich vorstellen, wie die Erde im All rotiert und welche Auswirkungen diese Bewegung auf Menschen, Autos, Tennisbälle, Luft- oder Wassermoleküle hat. Ein Molekül auf dem achtzigsten Breitengrad, also am Pol, kann dem Drehimpuls der Erde weit gemächlicher folgen als eines am Äquator, das sich regelrecht abhetzen muss. Warum das so ist, wird klar, wenn wir einen Blick in ein Sportstadion werfen. Immer wieder spannend, so ein 400-Meter-Lauf. Bloß, elliptische Aschenbahnen haben einen Schönheitsfehler. Der Läufer auf der innen liegenden Bahn ist grundsätzlich im Vorteil, denn seine Strecke ist kürzer als die des Nachbarn zu seiner Rechten, der wiederum weniger zu laufen hat als sein Nebenmann, und so weiter und so fort bis hin zum Läufer auf der Außenbahn, dem man nur empfehlen kann, sich das Rennen ganz zu sparen. Damit nun alles fair zugeht, staffelt man das Feld der Läufer und lässt sie versetzt starten, und die Chancengleichheit ist wiederhergestellt.
    Auf der Erdoberfläche verhält es

Weitere Kostenlose Bücher