Nachrichten aus einem unbekannten Universum
des Arthur Gordon Pym, jenes unglücklichen Protagonisten aus Edgar Allen Poes einzigem Roman, dessen letzter Eindruck auf seiner antarktischen Irrfahrt der einer geisterhaften, riesigen Erscheinung ist: die lakenumhüllte Gestalt eines Mannes, der größer war als je ein Bewohner der Erde. Und die Hautfarbe des Mannes hatte die makellose Weiße des Schnees.
Brrrr! Es reißt uns in den antarktischen Zirkumpolarstrom, den größten Kreisverkehr der Welt. Unablässig zirkuliert er um den weißen Kontinent, ohne je auf Land zu stoßen. Nie steht er still, nichts stoppt oder verlangsamt ihn. Seine Sogwirkung ist enorm, sodass alle Meere in das Riesenkarussell ein- und wieder aus ihm hervorgehen. Welche Identität man auch immer hatte bis hierher, ob man Teil des Labradorstroms oder eines Mittelmeerwirbels war, im antarktischen Mahlwerk wird alles zusammengeführt und bis zur Unkenntlichkeit vermengt. Was bleibt, ist namenloses Wasser.
Namenlos, bis es wieder ausgespien und in neue Bahnen geleitet wird.
Im Zwischenwasser, der vierten Strömungskategorie, lassen wir uns ein Stück mittragen und hoffen, dass die Bordheizung nicht den Geist aufgibt. Gütiger Himmel, ist das kalt! Wie gerne wären wir mit dem Teil des Wassers, der nun zurückreisen darf zum Äquator, gleich wieder zurück in den Atlantik gespült worden. Wir aber trudeln weiter im Karussell, während sich neue Wassermassen abkoppeln und dem Indischen Ozean zufließen, harren tapfer aus, bis wir endlich dran sind. Pazifik! Alles aussteigen! Und weg sind wir.
BITTE IN 800 METERN TIEFE BLEIBEN. NACH 4.000 KILOMETERN AUFSTEIGEN UND SCHARF LINKS ABBIEGEN
4.000 Kilometer, die wir entlang der Küste Südamerikas nach Norden treiben, dem Äquator entgegen. Langsam wird uns wieder wärmer, doch erst, als wir einer scharfen Linkskurve folgend westwärts wallen, schütteln wir den letzten Frost aus den Gliedern. Die Strömung trägt uns sacht zur Oberfläche. Endlich wieder Licht! Heißes, sonniges Wetter, durchsetzt von tropischen Regengebieten. Hier weht der Passat. Zauberhafte Südsee! Hey, da vorne, ist das nicht Indonesien?
NACH 500 KILOMETERN BITTE SCHRÄG RECHTS HALTEN UND ZWISCHEN BORNEO UND SULAWESI ... QUATSCH, SCHRÄG LINKS DURCH DIE LOMBOKSTRASSE
Moment mal. Wohin denn nun?
VORBEI AN TIMOR . ÄH . NEE, BESSER WENDEN UND DIE MAKASSARSTRASSE ... UND DANN ... ÖH ... WO BIN ICH?
Zweifellos ist Indonesien ein schreckliches Durcheinander aus Inseln und Inselchen, Meerengen, Strudeln und Untiefen, sodass man sich als Strömung gar nicht mehr auskennt. Hier verwirbelt unsere Westdrift, jeder Strömungsausläufer sucht sich seinen Weg. Zum Indischen Ozean wollen alle, doch dahin gelangt man nicht durchs Hauptportal. Wir zwängen uns zwischen Borneo und Sulawesi hindurch, durchqueren den Indik und halten auf Afrika zu. Im warmen Arabischen Meer gewinnt das Salz an Einfluss. Das Wasser um uns herum wird schwerer, doch weil wir vor pazifischer Wärme nur so bersten, bleiben wir an der Oberfläche, beschleunigen entlang der Küste von Mosambique, gehen mit schäumenden Wogen in die Kurve ums Kap der Guten Hoffnung — und kriegen eine verpasst.
Warum geht’s nicht weiter? Ganz einfach. Hier, so nah am antarktischen Zirkumpolarstrom, dass man den Verkehr regelrecht brausen hört, treffen gegenläufige Strömungen aufeinander, und Sie wissen ja, was daraus werden kann. Nicht auszuschließen, dass wir als Nächstes von einer Freak Wave in luftige Höhen geschleudert werden. Mit einiger Not umrunden wir das Kap, und wieder reißt es die Strömung, die uns hierher getragen hat, auseinander. In gewaltigen Wirbeln trudeln wir über den Südatlantik, saugen neue Wärme in uns hinein, gelangen mit der Äquatorströmung nach Westen. Jetzt geht es rasch voran. Unser Wirbel trägt uns vorbei an Brasilien und Venezuela, und dann ...
KARIBISCHE INSELN. SIE HABEN IHR ZIEL ERREICHT
Da wären wir.
Wie versprochen haben wir eintausend Jahre gebraucht. So lange dauert es, bis sich alles Wasser einmal um den Globus gewälzt hat. Theoretisch müsste eine Flaschenpost nach dieser Zeit wieder beim Absender angelangt sein, aber kein Schiffbrüchiger hat lange genug gelebt, um das bestätigen zu können. Wir aber dürfen uns auf die Schulter klopfen. Champagner! Begießen wir die Ankunft und meditieren wir noch einen Augenblick darüber, warum es Meeresströmungen überhaupt gibt.
Wie alles sind sie Kinder von Mutter Erde, und die liebt saubere
Weitere Kostenlose Bücher