Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Bilanzen. Wir haben gesehen, wie Wasser seine Temperatur verändert, mal leichter und mal schwerer wird. Sinkt nun kaltes und salzreiches Wasser in die Tiefe, entsteht ein Defizit an der Oberfläche. Wasser muss von anderer Stelle nachfließen, um den Verlust auszugleichen, erzeugt also seinerseits ein Defizit. In der Folge wird auch dieses Wasser ersetzt, was sich endlos fortsetzt, einmal rund um den Erdball. Noch etwas spielt eine Rolle: Nicht nur Gravitation, auch Temperaturunterschiede können die Höhe des Meeresspiegels beeinflussen — der Pazifik etwa liegt höher als der Atlantik —, und Wasser fließt immer von oben nach unten. Oder Wasser verdunstet und hinterlässt einen Fehlbetrag. Unter hohem Druck sind Wassermoleküle zudem dichter gepackt als in Flachwasserzonen. Die Regel besagt aber, dass sich komprimiertes Wasser in Gegenden mit niedrigerem Wasserdruck ausdehnen muss. Und der Wind spielt ohnehin die wichtigste Rolle, denn er versetzt das Wasser an der Oberfläche in Bewegung.
So ist im Verlauf der ozeanischen Entwicklungsgeschichte ein gewaltiges Umwälzungssystem in Gang geraten, das sämtliche Weltgewässer und alle Schichten umfasst. Keine Strömungsbewegung lässt sich isoliert betrachten, jede ist Folge der vorausgegangenen und Auslöser einer kommenden. Am spektakulärsten schließt sich der Kreis ohne Zweifel vor Grönland, wo die eisigen Massen abstürzen und jenen gewaltigen Sog erzeugen, dem der irische Westen seine Palmen verdankt.
Letztlich gelangt man mit den Meeresströmungen überallhin. Hier nun mag es einige Verwirrung geben. Wenn der Wind die Position der Wasserteilchen nicht verändert, wie kann er dann Einfluss auf die Oberflächenströmung nehmen, die ja Wasser versetzt? Ganz einfach. Als Reminiszenz an Einstein können wir uns einen fahrenden Zug vorstellen, in dessen Waggons Menschen auf- und niederspringen, ohne dabei ihre Position zu verändern. Sie schlagen in der Luft sogar noch einen Salto, kommen aber mit den Füßen immer wieder auf demselben Flecken ICE-Teppichboden auf. Anders ausgedrückt, sie bleiben auf der Stelle. Dennoch werden sie über große Distanzen bewegt, sagen wir von München nach Hamburg. Aus Sicht eines Beobachters, der den Zug vom Bahnsteig aus vorbeifahren sieht, verändern sie damit durchaus ihre Position. Kurz hinter Stuttgart landet nun ein Vogel auf dem Dach des Waggons, in dem das Hüpfspielchen vonstatten geht, zieht die Beine ein und hält ein Nickerchen. Mit hoher Geschwindigkeit wird auch er über Land transportiert, jedenfalls aus Sicht des Bauern, der kurz von der Feldarbeit aufschaut und den Zug samt Vogel vorüberrasen sieht. Dennoch bewegt sich der Vogel keinen Millimeter von der Stelle. Der scheinbare Widerspruch klärt sich, wenn wir den Zug als geschlossenes System betrachten. Innerhalb des Systems bleiben die saltoschlagenden Menschen auf der Stelle, ebenso wie der schlummernde Vogel.
Ein solches System ist auch eine Meeresströmung. Sie wälzt sich als Ganzes dahin. Innerhalb des Systems Meeresströmung bleiben die Wasserteilchen an ihrer Stelle, vollführen jedoch Sprünge und Saltos wie die Leute im Zug. Aus Sicht einer Beobachters am Ufer werden sie damit transportiert, ebenso wie ein Papierschiffchen aus seiner Sicht vorbeitreibt. Tatsächlich verändert das Schiffchen, auf das System bezogen, seine Position zu keiner Zeit. Unter ihm hüpfen die Wasserteilchen lediglich auf und ab. Die Wellenform durchläuft das System, mal wird das Schiffchen angehoben, mal sackt es runter, doch die Wellenteilchen bleiben konstant unter ihm, verändern also nicht seine Position. Der wohl bekannteste Zug ... pardon, Strom ist der Golfstrom. Man muss allerdings hinzufügen, dass Meeresströmungen sich um einiges komplexer verhalten als Züge und man nach einer halben Stunde springen und Salto schlagen wahrscheinlich am nächsten Bahnhof rausgeschmissen wird.
Die Bewegung der Strömungen als Systeme verdankt sich verschiedenen Einflüssen. Der Golfstrom etwa wurde und wird durch beständig blasende Winde wie die Passate der Randtropen oder die Monsune maßgeblich gefördert. Eine Erkenntnis, die schon Seefahrer der Antike befähigte, konkrete Aussagen über Strömungsverläufe zu machen. Wer einen bestimmten Punkt ansteuerte, gelangte nämlich nicht unbedingt dorthin, sondern landete ein ganzes Stück weiter östlich oder westlich als vorgesehen. Aus der Abweichung ließ sich ebenso auf die Fließrichtung wie auf die Kraft und
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