Nachrichten aus einem unbekannten Universum
aufweist und die Böden in Küstennähe abweidet.
Bartenwale sind die großen Filtrierer der Meere, fast allesamt Riesen. Den Rekord hält mit rund 33 Meter Länge der Blauwal, das größte lebende Tier des Planeten. Die Buckelwale haben, weil sie so schön singen können, vor langer Zeit »Das Wandern ist des Müllers Lust« angestimmt und damit die zyklischen Wanderungen der Großwale erfunden. Tatsächlich sind Bartenwale ausgesprochene Wandervögel, die im Sommer arktische und antarktische Gewässer aufsuchen, sich dort den Bauch voll schlagen und im Herbst wieder Richtung Äquator ziehen. Die Baja California und die Gewässer um Hawaii gehören zu ihren bevorzugten Paarungsgründen, dort bringen sie auch ihre Jungen zur Welt, die Mama und Papa auf ihrer nächsten Wanderung in die Kalte begleiten. Ein gefahrvolles Unterfangen — denn unterwegs lauern Zahnwale mit großem Appetit auf Grau- und Buckelwal-Teenies.
Weltmeister im Langstreckenschwimmen ist der Grauwal. Von Natur aus nicht der Schnellste, legt er die meiste Ausdauer an den Tag. Seine Qualitäten liegen weniger im Äußeren, da sind andere Wale spannender. Der Grauwal winkt nicht mit schicken, superlangen Flippern wie der Buckelwal (Flipper nennt man die Brustflossen), ist mit 14 Meter Länge weniger gewaltig als der Blauwal und kann nicht mithalten, was den bizarren Schädelbau des Südkapers angeht. Steingrau und gefleckt wie eine schottische Burgmauer, bewachsen von Parasiten, macht er einen eher griesgrämigen Eindruck. Man kann es ihm nicht verdenken. Keine andere Walart wird mit solcher Heftigkeit von Walläusen und Seepocken heimgesucht wie Grauwale. Bis zu 200 Kilogramm Parasiten machen sich auf einem ausgewachsenen Exemplar breit. Der geduckte Kopf ist vergleichsweise klein und zugespitzt, die Flipper schmal und paddelförmig.
Doch ungeachtet ihrer sauertöpfischen Mienen sind Grauwale fast zuvorkommend im Kontakt mit Menschen, neugierig und liebenswürdig. Wer sich ihnen beim Whale-Watching nähert, ohne Krawall zu machen, wird aus nächster Nähe in Augenschein genommen. Besuche finden oft so dicht am Boot statt, dass man nur die Hand auszustrecken braucht, um dem Koloss den Rücken zu tätscheln. Fast peinlich sind die Wale darauf bedacht, die Beobachter nicht anzurempeln. Angesichts dessen mag es erstaunen, dass die Walfänger im amerikanischen Norden einen Namen für den Grauwal fanden, der anderes vermuten lässt: Devilfish!
Denn die Friedfertigkeit der Grauen täuscht mitunter. Wird ihr Nachwuchs attackiert, machen sie dem Angreifer die Hölle heiß. Mit teuflischer Wut — nomen est omen — verteidigen sie ihre Kleinen. Vor der Zeit des technisierten Walfangs blieben sie oft Sieger und hinterließen zerschmetterte Boote und pitschnasse Harpuniere.
Wenn es je so etwas wie eine Romantik des Walfangs gegeben hat, Mensch und Bestie Auge in Auge, kann davon längst keine Rede mehr sein. Der Kampf mit einem modernen Walfänger ist gar keiner. Niemand begibt sich noch in Gefahr, nur der Wal kommt darin um.
Grundsätzlich aber sind Grauwale unaufgeregte Zeitgenossen. Sie fressen Krill, kleine Fische und mit großer Vorliebe Onuphis elegans, einen langen, dünnen Wurm, der zu Millionen die Böden flacher Küstengewässer besiedelt. Überhaupt halten sie sich bevorzugt in Küstennähe auf. Unterhalb von 120 Metern findet man sie selten. Im Gegensatz zu anderen Bartenwalen, die Gulp machen oder die Meere wie lebendige Schaufelbagger durchpflügen, drehen sie sich auf die Seite, robben durch den Schlamm und saugen ihn mitsamt aller Bewohner in sich hinein, wobei sie breite Furchen und lang gezogene Sedimentwolken hinterlassen. Oft sind sie in kleinen Gruppen von zwei bis vier Tieren unterwegs, gern aber auch alleine. So gemächlich ist ihre Lebensweise, dass man mitunter den Eindruck gewinnt, sie schliefen beim Fressen. In solchen Momenten überraschen sie plötzlich mit kühnen Sprüngen, katapultieren sich vollständig in die Luft oder strecken den Kopf aus dem Wasser, um ihre Umgebung zu inspizieren. Und wenn sie dann auf Wanderschaft gehen, kann man nur den Hut ziehen. Kein anderes Tier legt solch gewaltige Strecken zurück wie der Grauwal. Bis zu 20.000 Kilometer jährlich schafft ein ausgewachsener Grauer!
Inzwischen sieht man sie wieder öfter, etwa vor British Columbia, wenn Sie dort einen Zwischenstopp einlegen. Anfang des 19. Jahrhunderts war der Devilfish so gut wie ausgestorben. Man hatte die Grauwale rücksichtslos dezimiert.
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