Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Selbst, als es nur noch wenige hundert gab, wurde die Hatz nicht eingestellt. Erst 1946 stellte man sie unter Naturschutz, auf den allerletzten Drücker. Heute haben sich die Bestände einigermaßen erholt. 2001 schätzte der WWF ihre Zahl auf 27.000 Exemplare, doch wurden einige Populationen unwiederbringlich ausgelöscht. Trotz des absoluten Fangverbots für Grauwale stellen ihnen verschiedene Nationen weiter nach, selbstverständlich zu den schon erwähnten wissenschaftlichen Zwecken. Weil Grauwale die Nähe zur Küste suchen, sind sie außerdem stark durch Industrieabwässer gefährdet oder verfangen sich in Netzen. Viele von ihnen leiden unter Stress, denn Whale-Watching hat mancherorts Treibjagdcharakter angenommen. Röhrende Schnellboote und Ausflugsdampfer, die ihnen im Dutzend nachsetzen und einander per Sprechfunk die Positionen durchgeben, haben nichts gemein mit den rücksichtsvollen Walbeobachtern in ihren still treibenden Booten.
Nicht viele Großwale erfreuen sich der Protektion durch die Vereinten Nationen. Außer dem Grauwal gehört noch der wuchtige Südkaper dazu, nachdem auch er fast von der Bildfläche verschwunden war. Von ursprünglich 70.000 Exemplaren vor Bejagungsbeginn leben heute noch knapp 7.000 (man rechnet und schätzt ab dem Zeitpunkt der industriellen Bejagung vor wenigen hundert Jahren). Ähnlich verhält es sich mit dem Grönlandwal. Dessen Population vor Grönland war mal 25.000 Tiere stark, heute zählt man bestenfalls 100 Stück. Der südliche Minkwal, ein Zwergwal, ist als einzige Walspezies unter Naturschutz mit ein paar hunderttausend Tieren zahlreich vertreten. Alle anderen Arten gelten als gefährdet bis stark gefährdet. Vom mächtigen Blauwal, vor dreihundert Jahren noch 250.000 Individuen stark, sind gerade mal 5.000 übrig geblieben. Dem größten Tier der Welt zu begegnen ist unwahrscheinlicher geworden als ein Lottogewinn.
Und Moby Dick, der einzige Zahnwal unter den Großwalen?
Bis Anfang der achtziger Jahre war der Pottwal weltweit zum Abschuss freigegeben. Man weiß nicht, wie viele noch leben. Einst um die drei Millionen Tiere, dürften die Bestände heute kaum 10.000 Individuen übersteigen. Doch selbst, wenn eine Million Pottwale das große Schlachten überlebt hätte, wären die Auswirkungen dramatisch zu nennen. Ein ökologischer Faktor, der unvermittelt auf ein Drittel seiner Größe schrumpft, führt automatisch zu einschneidenden Veränderungen.
Nun hängt Miss Evolution, wie wir gesehen haben, nicht an ihren Geschöpfen. Allerdings hat sich das Verschwinden einer Art im Laufe der Erdgeschichte über Millionen Jahren hingezogen, ein sukzessiver Prozess, der Nachfolgern gestattete, das Terrain in kleinen Schritten neu zu besetzen. Der Megalodon etwa herrschte eine ganze Weile lang als unangefochtener König der Meere, weil seine Präsenz vonnöten war, damit sich andere Fische und Wale nicht ungehemmt vermehrten. Schließlich erwuchs ihm Konkurrenz durch den Weißen Hai. Äußerst langsam vollzog sich der Übergang. Der Megalodon hinterließ keine ökologische Lücke, er wurde abgelöst von Lebewesen, die seine Aufgaben übernahmen: Hey, ihr schnuckeligen Seekühe! Wollte mich nur mal vorstellen. Bin der Weißhai. Megalodon hat die Flossen hängen lassen. Von jetzt an werdet ihr von mir gefressen. Ciao, man sieht sich.
Und hier liegt das Problem: Der Mensch beschleunigt das Verschwinden einer Spezies auf so dramatische Weise, dass sich auf natürlichem Wege kein Ausgleich entwickeln kann. Wir haben es geschafft, Miss Evolution kaltzustellen. Nie zuvor hat es das in der Erdgeschichte gegeben. Hätten wir im 20. Jahrhundert zugelassen, dass sämtliche Nationen weiterhin nach Herzenslust Großwale jagen, dürften heute fast alle Tiere verschwunden sein. Die Folge wäre vielleicht eine explosionsartige Vermehrung des Krill und anderer planktonischer Arten gewesen. Führt man sich vor Augen, wie empfindlich die Randbedingungen unseres Planeten aufeinander abgestimmt sind und welch wichtige Rolle die Kleinstlebewesen dabei spielen, kann man sich ausmalen, welche Konsequenzen ein Wegfall der Großfiltrierer hätte.
Ähnlich verhält es sich mit den Zahnwalen. Bislang haben wir nur den bis zu 18 Meter langen Pottwal näher kennen gelernt. Er ist der einzige Zahnwal, der industriell gejagt wird. Pottwale fressen Fisch und Krustentiere, den Großteil ihrer Nahrung machen allerdings Tintenfische aus, die teils in großen Tiefen wohnen. Um sie zu erbeuten, setzt
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