Nachrichten aus einem unbekannten Universum
kleine Tintenfische in die Welt entlassen. Das wäre möglicherweise schon alles. Ein Exitus der Bartenwale müsste uns hingegen zutiefst verunsichern. Die Atmosphäre könnte darüber kippen, denn die wird vom Plankton stark beeinflusst.
Jede Form des Raubbaus und der Ausrottung ist also nicht nur unmenschlich, sondern vor allem dumm. Aktuellen Zahlen zufolge müsste unsere Spezies vor Dummheit schreien, wenn diese wehtäte. Eine Spezies binnen 300 Jahren von drei Millionen auf 10.000 Exemplare zu dezimieren, zeugt jedenfalls von beispielloser Blödheit. Hier verletzt der Mensch das Einzige, worauf er mit einiger Berechtigung stolz sein kann: die ihm verliehene Gabe, Verantwortung zu tragen, für sich und für den Planeten, dessen Verwalter er zu sein beliebt. Stattdessen gibt er sich mit Unwissenheit und Arroganz zufrieden, greift in Systeme ein, die er nicht hinreichend verstanden hat, und bemüht Polemik und Halbwissen anstelle wirklicher Information.
Auch über ein weiteres schwieriges Thema wird vorwiegend auf der Basis blindwütiger Schuldzuweisungen und voreiliger Dementi gestritten: Strandungen. Immer noch weiß man nicht mit letzter Sicherheit, warum die Tiere verenden. Allerdings verdichten sich die Hinweise, dass Menschen zumindest an einigen Strandungen Schuld tragen. Der unterseeische Lärm, den wir veranstalten, treibt die Tiere aus ihrem Element. Sprengungen etwa, um Minen zu eliminieren. Oder Luftkanonen, wie sie Energiekonzerne zur Exploration von Gas- und Ölfeldern einsetzen. Solche Kanonen schießen regelrecht mit Schall und richten nachweislich großen Schaden an. Ein Wal, der von einem 2.000-Bar-Impuls getroffen wird, behält einen bleibenden Hörschaden zurück, vielleicht katapultiert es ihn aber auch direkt ins nächste Leben. Beides scheint so gut wie erwiesen.
Falsch ist es sicher zu behaupten, die Wale flüchteten bewusst an Land (das wäre in etwa so, als ob man sich erschießt, um keine Ohrenschmerzen mehr zu haben). Auffällig ist allerdings, dass Walstrandungen immer dort überhand nehmen, wo Verbände der NATO Übungen durchführen und in starkem Maße von Sonarsystemen Gebrauch machen. Ich werde verschiedentlich gefragt, ob der im Schwarm geschilderte Einsatz des amerikanischen NiederfrequenzSonars Surtass LFA bei Walen tatsächlich zu Trommelfellrissen und Hirnblutungen führen kann. Surtass LFA, ein System zur Aufspürung von U-Booten, wurde Anfang der Neunziger von der US- Regierung in Auftrag gegeben und stellt eine attraktive militärische Option dar. Es erlaubt der Navy, rund drei Viertel der Ozeane zu überwachen, denn Wasser leitet Schall ganz vorzüglich.
Nun bestreitet heute niemand mehr, dass Sonar für Wale schädlich ist, auch nicht die Navy. Blutungen wurden bei gestrandeten Säugern nachgewiesen und gelten als charakteristisch für Lärmstress. Unglücklicherweise können wir diesen Stress nicht nachvollziehen. Für menschliche Ohren ist der Krach gar nicht so schlimm. Das meiste dessen, was Wale in den Wahnsinn treibt, würden wir nicht mal hören. Allerdings senden Wale auf anderen Frequenzen, vornehmlich per Infraschall, was sich der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Schallwellen unter Wasser verdankt. Die liegt durchschnittlich viermal höher als in der Luft. Hinzu kommt, dass Wellen sich in Flüssigkeiten umso rascher verteilen, je länger sie sind. Und tiefe Töne sind langwelliger als hohe. Pottwale kommunizieren darum zwischen 20 Hertz und 20 Kilohertz. Wenn sie brüllen, wackeln woanders die Riffe, menschliche Ohren bleiben unbelastet. Umgekehrt nehmen die Tiere das Schürfen abgebrochener Gletscher wahr wie Donnergrollen, Unterwasserexplosionen wummern schmerzhaft in ihren Gehörgängen, und wenn es sie versehentlich in die Nordsee verschlägt, irren sie durch akustischen Nebel: 700 Bohrinseln machen einen Höllenlärm.
Und der tut weh. Cetologen weisen darauf hin, ab 180 Dezibel rissen bei einem Wal die Trommelfelle. 215 Dezibel werden alleine an einem einzigen der unzähligen Surtass-LFA-Lautsprecher gemessen. Noch in 500 Kilometern Entfernung vom Ausgangsort lassen sich Druckpegel um die 120 bis 140 Dezibel messen, exakt die Lautstärke, bei der Buckelwale, Grauwale und Grönlandwale das Weite suchen. Angestrebt — und im Modellversuch erreicht — sind 235 Dezibel und mehr. Auf dieser Frequenz legt Schall die größten Distanzen zurück. Als die NATO vor den Kanaren entsprechende Tests durchführte, strandeten sogleich mehrere Wale. Kaum hatten
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