Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Helfer sie ins tiefe Wasser verfrachtet, stürmten sie wieder an Land, und schließlich verendeten sie. Weitere 16 Wale trieb es im Jahr 2000 vor den Bahamas aufs Trockene, und auch hier wurde Surtass LFA erprobt.
Die Navy legt Wert auf die Feststellung, keine Kosten und Mühen gescheut zu haben, um ihr System walverträglich zu gestalten. Sogar ein Spezialsonar wurde entwickelt, um Wale rechtzeitig aufzuspüren und das Hauptsystem abzuschalten, falls diese näher kommen. Die Crux dabei ist, dass die Navy zu anderen Schlüssen gelangt als die meisten unabhängigen Forscher. Sie deklariert jede Belastung unterhalb 180 Dezibel als tolerabel für Wale, was erwiesenermaßen nicht stimmt: 150 Dezibel, und Buckelwale verstummen. 180 Dezibel, und sie fliehen in Panik. Zum Vergleich:
Ein Raketenstart liegt bei 170 Dezibel. Würden Sie Ihr Ohr an eine startende Sojus legen, könnte Ihnen der Schädel platzen.
Ende 2002 erging in San Francisco aufgrund etlicher Petitionen ein richterlicher Beschluss, der die amerikanische Marine zwang, Surtass LFA auf herrschende Gesetze zum Artenschutz abzustimmen, während zugleich Engländer, Russen und Chinesen eigene Systeme erproben. Alles brave Forscher, die ihren gesunden Schlaf nötig haben, um Leistung zu erbringen, die abends ihr 40 Dezibel lautes Büro verlassen, im rund 70 Dezibel lauten Straßenverkehr nach Hause fahren und in ihren durchschnittlich 10 bis 20 Dezibel lauten Schlafzimmern sanft einschlummern.
Fast ausschließlich sind es Zahnwale, die auf Grund laufen. Was die Sonar-These stützt, jedoch unter leicht veränderten Gesichtspunkten: Nicht allein die Lautstärke ist das Problem — vor allem bringt der Schallbeschuss das Orientierungsvermögen der Wale durcheinander. Nur Zahnwale navigieren über Echoortung, eine Art Biosonar. Klick- oder Fieplaute — meist in schneller Folge — werden abgeschickt und reflektiert. Dieser Sinn ist lebensnotwendig für die Tiere. Mit ihm schätzen sie Entfernungen ab, spüren Beute auf, schwimmen Hindernissen aus dem Weg und finden sich ganz allgemein zurecht.
Diesen inneren Kompass, fürchten Walforscher, sabotieren Fremdsonare. Etwa so, als pflastere man die Straßen mit falschen Wegweisern, landen die Wale am Ende dort, wo sie am allerwenigsten hinwollten, nämlich auf dem Strand. Dass Surtass LFA — übrigens nur eines etlicher Sonar-Systeme, die rund um den Globus im Einsatz sind — Zahnwale empfindlich stört, zeigt das Verhalten von Pottwalen. Auch sie verstimmen im Surtass-Lärm augenblicklich. Wir würden ähnlich reagieren. Eine gepflegte Unterhaltung lässt sich kaum fortsetzen, wenn jemand in unmittelbarer Nähe Maschinengewehrsalven abfeuert.
Hier begegnen wir dem schon angesprochenen Problem der verkürzten Gewöhnungszeit. Die Evolution benötigt Zeit für Umbauten. Die Wale hatten jedoch keinerlei Gelegenheit, ihr Gehör den neuen Beanspruchungen anzupassen. Es ist gar nicht so lange her, da verursachten nicht mal Schiffe nennenswerten Lärm, weil sie unter Segeln standen. Heute ist die Meeresoberfläche okkupiert von Tankern und Frachtern, Fähren, Kuttern, Kreuzfahrtschiffen und Motorbooten, die sämtlich Sonar zur Navigation einsetzen. Es wird munter gesprengt, gebaut und gebohrt. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich eine Idylle in einen Hexenkessel verwandelt. Wie schon erwähnt, bringt nur der Mensch es fertig, Miss Evolution ein Schnippchen zu schlagen und Veränderungen so rapide einzuleiten, dass die Dame den Anschluss verpasst.
Die Hauptübeltäter für Strandungen scheinen damit ausgemacht.
Was manche Natur- und Umweltschützer allerdings weniger gern hören, ist, dass Massenstrandungen schon vor Jahrhunderten als immer wiederkehrendes Phänomen beschrieben wurden. Dass Wale über einen biologischen Kompass verfügen, der sich Eisenverbindungen in ihrem Hirn verdankt und die Orientierung am Erdmagnetfeld erlaubt — einige Strandungen könnten also durchaus Folge magnetischer Fehlinterpretationen sein. Dass Wale in größeren Verbänden zur Massenhysterie neigen, ähnlich wie Menschen, die einander in brennenden Hallen totzutrampeln pflegen. Dass viele der Gestrandeten schlicht falschen Führern folgen und plötzlich nicht mehr weiter wissen. Dass Tiere, die man unter Mühen zurück in tiefere Gewässer bringt, sogleich wieder Richtung Strand schwimmen, auch wenn dort kein militärisches Sonar wummert. Dass Wale infolge von Lärm zwar mit schweren inneren Verletzungen angespült wurden, Hirn- und
Weitere Kostenlose Bücher