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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Innenohrblutungen aber einen verschwindend geringen Teil ausmachen, wenn man die Gesamtzahl jährlich strandender Wale betrachtet. Dass im Verhältnis der jeweiligen Bestandszahlen zu den gestrandeten Tieren seit vielen Jahrzehnten keine Veränderung zu beobachten ist. Soll heißen, mehr Wale, mehr Strandungen, weniger Wale, weniger Strandungen. Klingt zynisch? Zugegeben. Wenn man allerdings den Erhebungen des National History Museum in London glauben darf, spricht die wachsende
    Zahl an Land verendeter Tiere hauptsächlich dafür, dass sich die Populationen insgesamt wieder leicht erholen.
    Nach wie vor lässt sich schwer beweisen, inwieweit menschliche Aktivitäten für den Tod von Walen verantwortlich sind. Wohl darum sehen viele Aktivisten das höchste Risiko nach wie vor in Fischernetzen. Schlicht und einfach, weil dieser Beweis als Einziger hundert Prozent zählt. Ein Wal, der in einem Netz verendete, ist eindeutig nicht an Bronchitis gestorben.
    Noch etwas hören Walfreunde nicht gerne. Dass ihre Lieblinge keineswegs so friedfertig und gütig sind wie der Orca Willy und der nassforsche Kinderfreund Flipper. Ende der Neunziger wurden in einer schottischen Bucht nahe Inverness 40 Schweinswale angeschwemmt, die allesamt in wenig erfreulichem Zustand waren: Leberrisse, Schädelfrakturen, gebrochene Rippen, zersplitterte Wirbel, klaffende Wunden. Die üblichen Verdächtigen erschienen zur Gegenüberstellung: Schiffsschrauben, gewissenlose Fischer, unterseeische Kraftwerke. Jeder kam als Schuldiger in Frage, nur nicht diejenigen, die es schlussendlich waren:
    Tümmler.
    Ein größerer Verband, in derselben Bucht zu Hause wie die Schweinswale, hatte seine kleineren Vettern schlicht totgerammt. Ins lichte Universum der freundlichen Lungenatmer passen schottische Hooligans natürlich nicht hinein. Inzwischen weiß man, dass Tümmler sogar ihren eigenen Nachwuchs meucheln, wenn es die Umstände erfordern. Und sie sind längst nicht die einzigen Wale, die mitunter pure Mordlust an den Tag legen oder sich auf zweifelhafte Weise mit anderen Meeresbewohnern vergnügen. Delphine beispielsweise gelten als verspielt. Vielleicht darum schnappen sie sich schon mal gerne einen kleinen Seelöwen oder Halbwüchsigen aus den eigenen Reihen und schleudern ihn hoch über die Wellen. Ein anderes Tier fängt den lustigen Spielgesellen auf, wirbelt ihn herum und schanzt ihn einem dritten Teilnehmer zu. In manchen Fällen kommt das verdatterte Lustobjekt mit Blessuren davon, oft wird es in der Luft zerrissen. Was nicht zwingend dazu führt, dass es hernach gefressen wird. Hauptsache, der guten Laune wurde ein Ventil geschaffen.
    Und wieder singen die Wale:
    »Wir lassen uns das Spielen nicht verbieten ...!«
    Was denn, der Delphin ein Lustmörder? Unmöglich! Verhaltensgestört, lautet die rasche Diagnose, natürlich durch menschliche Einflüsse. Die Realität sieht anders aus. Orcas, die vor der peruanischen Küste Seelöwen jagen, stellen ähnliche Sperenzchen mit ihrer Beute an, und das erwiesenermaßen schon seit Jahrhunderten. Und was, bitte schön, treibt die Katze mit der Maus? Wie viele Mäuse sind ungeachtet der Genfer Konvention zu Tode geschubst worden?
    Unpopulär sind auch Walfänger, die nicht so recht ins Böse- Buben-Schema passen wollen. Auf Norweger und Japaner einzudreschen ist einfach. Wie aber steht es mit kanadischen Indianern, Aborigines und den Inuit im hohen Norden, die für sich reklamieren, Wale für den eigenen Bedarf jagen zu dürfen? Und zwar nicht einzig, weil es ihrer Tradition entspricht, sondern weil Wale Fleisch und Geld einbringen? Konsequenterweise müsste man das unterbinden. Damit allerdings fände die Arroganz des Stärkeren ihren vorläufigen Höhepunkt: Ausgerechnet jene Nationen, welche die Wale aus puren wirtschaftlichen Erwägungen an den Rand des Aussterbens gebracht haben, versuchen die letzten paar Exemplare vor denen zu schützen, vor denen sie nie geschützt werden mussten. Natürlich ist die Frage gestattet, ob die kanadischen Nootka- Indianer, große Walfänger aus Tradition, die 1920 auf eigenen Beschluss die Jagd einstellten und 1995 das Zugeständnis einer Fangquote zur Wiederaufnahme erwirkten, unbedingt Wal essen müssen. Andererseits könnten uns die Nootka mit Verweis auf europäische Geflügelfarmen das Gleiche fragen. Die Inuit aber wären ohne die Erlaubnis, Narwale, Belugas und andere Meeressäuger zu jagen, schlicht aufgeschmissen. Denn sie ernähren sich davon.
    Wohlgemerkt,

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