Nachrichten aus einem unbekannten Universum
keine frischen Haifischflossen bekam. Die Nachfrage ist groß, vielfach werden sie darum getrocknet angeboten. Huen weiß, dass einige Gäste nicht mehr kommen, seit er die berühmte Haifischflosse von der Karte genommen hat, und dass er beim Gros der Feinschmecker auf Unverständnis und offene Ablehnung stößt. Aber er hat auch gesehen, wie die Flossen auf den Markt gelangen — und was dafür mit ihren Besitzern geschieht.
»Im Grunde weiß das jeder«, sagt Huen. »Aber man kann ja wegschauen.«
Er hat sich darauf eingelassen, mehr zu erfahren über die Art und Weise, wie Haie ihrer Flossen verlustig gehen. Danach war es ihm nicht länger möglich, wegzuschauen. Seit Huen die Dokumentation der chinesischen Tierschützer gesehen hat, schmeckt ihm seine eigene Suppe nicht mehr. So wenig, dass er sich mit seinen Gästen auf heftige Dispute einlässt und sich strikt weigert, jemals wieder Haifischflossensuppe zuzubereiten.
»Das ist sicher verlogen«, sagt der freundliche kleine Mann mit dem schwarzen Bürstenhaarschnitt. »Wir essen trotzdem vieles, was wir aus ähnlichen Erwägungen nicht essen sollten. Europäer essen Gänsestopfleber, Japaner bei lebendigem Leibe zerteilten Fisch. Ich glaube nicht, dass die Gänse es schätzen, wie ihre Leber gemästet wird. Aber wer kann schon gegen alles opponieren. Nur, die Sache mit den Haien . Irgendwann muss man Stellung beziehen.«
Was geschieht denn mit den Haien?
Sind Sie gerade in stabiler Verfassung? Gut. Dann stellen Sie sich vor, Sie sind ein Hai und streunen durchs offene Meer. Plötzlich erblicken Sie eine Leckerei, einen schönen großen Fisch, merkwürdigerweise schon halbiert. Das interessiert Sie nicht weiter, Sie haben Hunger, also schlucken Sie den Köder, denn ein solcher war’s. Plötzlich hängen Sie an einer langen Leine. Sie beginnen zu kämpfen, irgendwo in Ihrem Maul steckt ein Haken. Sehr lang ist die Leine, an der Sie Meter für Meter eingeholt werden, und äußerst stabil. Bei Ihren verzweifelten Anstrengungen, sich zu befreien, wickeln Sie sich das Seil mehrfach um den Leib und spüren, wie es schmerzhaft einschneidet. Ihre Kräfte lassen nach. Vor Ihren Augen wird es dunkel, als ein gewaltiger Schiffsrumpf in Ihr Blickfeld kommt. Im nächsten Moment fühlen Sie sich aus dem Meer gehievt. Höher und höher geht es, dann klatschen Sie aufs Deck. Ein Mann reißt mit einem Ruck den Haken aus Ihrem Kiefer und zerfetzt dabei Ihren Gaumen. Ein anderer sieht zu, fördert sodann ein langes Messer zutage, zieht Sie am Schwanz in die Höhe und schneidet Ihnen mit schnellen Hieben die Flossen ab.
Sie werden zurück ins Meer geworfen.
Tot sind Sie nicht. Nur verstümmelt und einem qualvollen Sterben preisgegeben. Sie können froh sein, wenn möglichst schnell jemand auftaucht und Sie frisst, um Ihrem Leid ein Ende zu machen, aber das geschieht nicht, also sinken Sie zum Meeresboden — denn schwimmen können Sie ja nicht mehr, jagen schon gar nicht — und krepieren. Ganz langsam. Sie sind in der Hölle für Haie gelandet.
Finning heißt die Methode, Haien bei lebendigem Leibe das abzutrennen, was in China traditionell als Delikatesse gilt. Keine chinesische Hochzeit, kein Geburtstag, kein Jubiläum ohne Haifischflossensuppe. Experten können belegen, dass die Lust auf Flossen manche Haiart an den Rand des Aussterbens gebracht hat. Trotzdem werden die knorpeligen Dinger zunehmend konsumiert, nicht nur von Chinesen. Weltweit bieten Restaurants die Spezialität an. Auch vermeintlich aufgeklärte Europäer und Amerikaner essen sie und fragen sich, was daran so Besonderes sein soll. Eigentlich, wenn man die Würze beiseite lässt, haben die blassen Fetzen keinen Eigengeschmack.
Ausgerechnet Disney lief Gefahr, sich an den Flossen die Zähne auszubeißen. Nachdem man die putzige Unterwasserfabel Findet Nemo auf die Leinwand gebracht hatte, in der drei urkomische Haie einen vegetarischen Verein gründen, kam es Greenpeace und dem WWF zu Ohren, dass in einigen Restaurants des geplanten Hongkong-Disneyland Haifischflossensuppe auf der Karte stehen sollte. Darauf angesprochen, reagierte Disney mit einer linkischen Verbeugung vor chinesischen Traditionen. Man wolle den Gastgebern Respekt erweisen, schließlich sei die Suppe so etwas wie die kulturelle Nährlösung eines Volkes, das schon zu schlemmen wusste, als unsereiner noch am Knochen nagte. Ein chinesisches Festbankett ohne Haifischflossensuppe sei schlichtweg unvorstellbar, so Disney in butterweicher
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